Ukraine/Russland: NATO mit neuer Rolle

In Wales beginnt heute der zweitägige NATO-Gipfel, bei dem vor allem ein Thema im Mittelpunkt steht: die Krise in der Ukraine - und das aggressive Vorgehen Russlands. Wie soll Europa künftig mit Russland umgehen, ist die allesentscheidende Frage. Und welche Rolle soll die NATO dabei spielen?

Anders Fogh Rasmussen

(c) EPA/OLIVER HOSLET

Das 28 Mitgliedsstaaten zählende Verteidigungsbündnis erlebt gerade ein beeindruckendes Revival: die NATO hat ihre Militärbasen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten aufgestockt, Truppen mobilisiert - und geht es nach Staaten wie Rumänien, Polen oder den baltischen Ländern, sollen diese Kompetenzen künftig noch weiter ausgebaut werden. Doch nicht alle finden diese Entwicklung gut.

Mittagsjournal, 4.9.2014

Militärisches Kräftemessen

Die NATO spielt ihre Karten aus. Luftabwehr in den baltischen Staaten, Schiffe im Baltischen Meer -Russlands Aktionen in der Ostukraine hat das transatlantische Bündnis in Bewegung gesetzt. Und geht es nach den USA, dem wohl mächtigsten NATO-Mitglied, soll es so weitergehen: wir werden geschlossen hier stehen, um den Herausforderungen dieses Moments entgegenzutreten, sagt US-Präsident Barack Obama. Aber dafür müssen wir die Verteidigungsmaßnahmen verschärfen: das heißt mehr Militärpräsenz, mehr Ausrüstung, mehr Übungen, und mehr amerikanische Truppen in Europa

Klingt nach militärischem Kräftemessen - die einzig richtige Strategie, meint Luke Coffey, Sicherheitsexperte bei der konservativ-republikanischen Heritage Foundation in Washington DC. Nur eine starke NATO sei eine wirksame Abschreckung für den russischen Präsidenten Vladimir Putin und seine, Zitat, „imperialistischen Pläne“: Das ist eine Chance, dass sich die NATO wieder auf ihre Grundsätze besinnt: Sie muss in Europa in der Lage sein, die territoriale Integrität ihrer Mitgliedstaaten zu verteidigen. Russland muss erkennen, dass es eine rote Linie gibt auf der europäischen Landkarte, und dass es Konsequenzen hat, wenn diese Linie übertreten wird.

Ähnlich wie im Kalten Krieg

Vor allem Polen, Rumänien und das Baltikum wünschen sich eine größere Präsenz von NATO Truppen. Sie fühlen sich von Putins Expansionspolitik bedroht - und das aus gutem Grund, sagt Coffey gegenüber Ö1: Russland stellt eine Gefahr dar. Und zwar nicht wegen der Panzer oder der Raketen. Die größte Gefahr ist die russische Propaganda. Russland schafft eine feindliche Atmosphäre in den Ländern, in denen es große russische Bevölkerungsgruppen gibt, die dann meinen, sie würden diskriminiert und schlecht behandelt. Das schafft Spannungen und Probleme.

Spannungen, die durch eine zunehmende Militarisierung der osteuropäischen Staaten nur verstärkt würden, warnt der Politologe Robert Legvold von der Columbia University in New York: Ich finde es gefährlich, dass wir wieder ein militärisches Bedrohungsszenario aufbauen, ähnlich dem, das es im Kalten Krieg gegeben hat. Statt die Spannungen abzubauen, treiben wir einen tiefen Keil zwischen Russland und die NATO und spitzen so die Lage zu - ich nenne das einen neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen

Allein die Rhetorik der NATO spreche Bände, sagt Legvold: "Aktionspläne“, eine neue "Eingreiftruppe", die als eine Art "Speerspitze" der NATO besonders schnell aktiv werden soll - Moskau könnte das als Provokation verstehen, warnt der Politologe im Ö1-Interview - und das sollte man nicht riskieren: Statt Russland zu isolieren, sollten wir einen strategischen Dialog führen und nach Gemeinsamkeiten suchen. Wir ignorieren Russland und üben weiterhin Druck aus, weil wir glauben, dass Russland einlenken wird. Aber das wird es nicht tun.

Ja, Russland müsse Einhalt geboten werden, betont Robert Legvold. Aber die USA und ihre 27 NATO Verbündeten sollten aufpassen, dass ihr Plan nicht nach hinten losgeht.