Das Leben von Flüchtlingen in zwei Welten

Immer mehr Menschen fliehen aus den kriegerischen Konfliktgebieten. Nach Europa werden heuer so viele Flüchtlinge kommen wie seit 20 Jahren nicht mehr, schätzt das UNO-Flüchtlingshochkommissariat. Österreich war zuletzt in den 90er-Jahren mit einer großen Welle von Kriegsflüchtlingen konfrontiert. Damals hat Österreich rund 90.000 Menschen aus Bosnien aufgenommen, ohne großen Aufschrei der Bevölkerung. Den Krieg, die Flucht und das Ankommen in Wien hat auch die gebürtige Bosnierin Nina Kústurica erlebt, die als 17-Jährige mit ihrer Familie nach Wien gekommen ist. In einem Gespräch mit Veronika Mauler berichtet sie über ihre Erfahrungen.

Mittagsjournal, 27. September 2014

Verlorene Jugend als Preis für Sicherheit

Der Bus mit dem ihre Familie aus Bosnien Herzegowina floh, war der letzte Bus, der Sarajevo ungehindert verlassen sollte. Ein Bus, in den tausende gerne eingestiegen wären, schildert Nina Kusturica. Am Tag ihrer Abreise seien geglaubte 20.000 Menschen am Bahnhof gewesen, die vergeblich nach Plätzen in dem Bus gesucht haben. Dieses Bild des Menschenmeeres sei für die junge Frau eine ihrer schwersten Erfahrungen gewesen.

Zuerst kam Kusturica im Studentenheim bei ihrer älteren Schwester unter, die schon in Wien studiert hatte. Immer wieder musste sie in den ersten Jahren einen neuen Platz zum Wohnen suchen, insgesamt 30 mal sei sie in den ersten zwei Jahren umgezogen, eine Zeit lang habe sie auch in einem Keller geschlafen. Die Flucht habe ihre Jugend schlagartig beendet. Es sei nicht nur ein Verlust von Heimat, Familie und Freunden gewesen, aber auch ein Verlust ihrer Jugend, "weil ich einfach schauen musste, wie ich über die Runden komme", erzählt sie.

Arbeiten bedeutet Menschenwürde

Asyl haben die Bosnier damals nicht bekommen, sondern vorübergehende Aufenthaltsbewilligungen. Zunächst habe man ihnen ein Aufenthaltsvisum für drei Monate gegeben und gemeint, man müsse abwarten, wie sich die Situation in ihrer Heimat weiter entwickeln würde. Das sei Jahre lang so weiter gegangen. Zum Leben bekam Nina damals monatlich 1500 Schilling, festgeschrieben auf einem rosa A5-Formular, ausgestellt vom Wiener Sozialamt. Auf die Frage nach ihrem Status antwortet sie damals immer: "Rosa Papier". Das sei das einzige Papier, das sie je bekommen hat. Etwaige Rechte, wie etwa arbeiten zu dürfen, waren daran natürlich keine gebunden. Es habe Jahre gedauert bis die ganze Familie legal in Österreich arbeiten durfte. Dabei sei arbeiten das Allerwichtigste, meint Nina. Denn Arbeiten zu dürfen sei stärker als jede karitative Aktion, weil es darum geht, damit einem Menschen das Recht zu geben, über sein Leben selbst zu bestimmen. Werde das genommen, bedeutet das, einem Menschen sein Recht auf ein gesundes Leben und seine ganze Menschenwürde zu nehmen, sagt sie.

Heute hofft Kusturica, dass die aktuelle Diskussion rund um die steigenden Asylwerberzahlen zu einer Öffnung des Arbeitsmarktes führt. Während Regierungen und Koalitionspartner gewechselt werden, verginge für diese Menschen mit jedem Tag ein Tag, an dem sie nicht leben dürfen.

Den schwierigen Anfang in Österreich hätten in ihrem Fall vor allem die ersten persönlichen Kontakte zu Einheimischen erleichtert. Diese Menschen hätten ihr geholfen, Jobs zu finden und ein kleines soziales Netzwerk aufzubauen. Man sei ziemlich isoliert am Anfang, erinnert sich Nina, sodass selbst eine Einladung zu einem Mittagessen am Wochenende mehr als nur eine Besonderheit darstellt. Und diese Anfänge würden oft zehn Jahre dauern. Auf die Frage woher sie komme, habe sie jahrelang Sarajevo geantwortet, erzählt Kusturica. Mittlerweile sagt sie Wien.