Die "Café Sonntag"-Glosse von Georg Biron

Arbeiten bis der Arzt kommt

Also: ich ... ich hab' ja ein Glück, weil ich ein freier Schriftsteller bin. Das hat zwar viele Nachteile, weil wenn man so frei ist, dann muss man sich auch selber um alles kümmern ... aber es hat viele Vorteile, weil ich mir zum Beispiel meine Arbeitszeit selber einteilen kann ... weil ich alleine und ohne nervende Kollegen meine Texte verfasse - und vor allem ist es ein Glück, dass ich keine Vorgesetzten habe und mein eigener Chef bin.

Das war aber nicht immer so. Ich kenne auch die andere Seite der Medaille. Ich weiß, wie es ist, ganz normal von neun Uhr vormittags bis fünf Uhr am Nachmittag in einem Büro zu sitzen. Ich kenne den Arbeitsalltag ... die Chefs, die nicht wissen, was sie wollen ... und die Stress machen und Drohungen aussprechen und ihre Mitarbeiter wie Hunde behandeln, die man dressieren muss, damit sie gehorchen und spuren. Unzählige sinnlose Stunden habe ich in lähmenden Meetings verbracht ... alles musste immer schnell, schnell, schnell gehen ... und auch am Wochenende sollte ich für Notfälle zur Verfügung stehen.

"Auf Nachhaltigkeit wird heute viel Wert gelegt!", sagt der Arbeitsmediziner Doktor Rudolf Karazman. Das geht bis hin zur finanziellen Nachhaltigkeit auf den Finanzmärkten, geregelt von Basel I bis Basel III, aber um die menschliche und zwischen-menschliche Nachhaltigkeit ... um die kümmert sich keiner … obwohl es ja gerade die Menschen sind, die das Vermögen erarbeiten.

"Es gibt Umweltverträglichkeitsprüfungen und Stresstests für Banken, aber es gibt keine Menschenverträglichkeitsprüfungen oder Stresstests für Unternehmenskulturen", kritisiert der Doktor Karazman. "Wenn wir ein Auto fahren, müssen wir einen Führerschein machen." Wenn jemand in der Arbeitswelt Menschen führt, muss er keinen Menschenführerschein ablegen. Das ist schade, denn: "Manche machen es gut, viele nicht."

Deshalb macht die Arbeit krank. Und zwar die Seele. In Zeiten der Krise gehen die Menschen auch dann in die Arbeit, wenn sie krank sind, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben, sie machen unbezahlte Überstunden und verzichten auf Pausen. Die Leute sind oft überfordert und leiden still und einsam vor sich hin. Irgendwann wird alles zu viel. Dann gibt es Depressionen und Schlafstörungen, Suchtmittelmissbrauch und ausgeprägte Erschöpfungszustände ... schließlich hat man plötzlich ein Pfeifen im Ohr und kriegt die medizinische Diagnose präsentiert ... Burnout.

Ein Freund empfahl mir einen wunderbaren buddhistischen Mönch, mit dem ich meditieren sollte, um meine Seele auszubalancieren. Doch der buddhistische Mönch stand gerade nicht zur Verfügung. Er hatte ein Burnout ... und das ist kein Witz.

Es ist ein Glück für mich, ein freier Schriftsteller zu sein, denn das Schreiben ... das ist manchmal wie eine Meditation ... es balanciert die Seele aus ...