Familienroman über die Spionin Edith Tudor-Hart

Peter Stephan Jungk erzählt in seiner neuen Biografie "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" vom Leben seiner Wiener Großtante, die als kommunistische Spionin die Geschichte des 20. Jahrhunderts mitbestimmt hat und heute als Fotoreporterin bekannt ist.

Morgenjournal, 9.6.2015

In seinen Büchern hat sich Schriftsteller Peter Stephan Jungk schon mit den spannenden und widersprüchlichen Lebensläufen von Größen wie Franz Werfel oder Walt Disney auseinandergesetzt. Jetzt hat er sich in seiner eigenen Familie auf Spurensuche gemacht. In "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" erzählt er vom geheimen Leben seiner Wiener Großtante, die heute als Fotoreporterin berühmt ist, als kommunistische Spionin aber die Geschichte des 20. Jahrhunderts mitbestimmt hat.

Britischer Doppelagent Kim Philby

Mai, 1934. Zu Fuß, per Taxi und mit der U-Bahn hetzt Edith Tudor-Hart kreuz und quer durch London, um mögliche Verfolger abzuschütteln. In ihrer Begleitung ist Kim Philby und damit der Mann, der zum bedeutendsten Geheimagenten des 20. Jahrhunderts werden sollte. Im britischen Geheimdienst wird Philby in den folgenden Jahrzehnten bis zum Verbindungsmann nach Washington aufsteigen, tatsächlich aber dient er als russischer Doppelagent und informiert die Sowjetunion über bevorstehende Aufstände in Albanien oder Bulgarien. Am Anfang stand aber seine Rekrutierung an diesem Londoner Frühlingstag durch die Großtante Peter Stephan Jungks, einer kommunistischen Agentin mit Decknamen Edith.

Spurensuche rund um die Welt

"Weder die Familie noch enge Freunde hatten auch nur die geringste Idee", erzählt Peter Stephan Jungk. Sogar ihr eigener Bruder, der berühmte Fotograf Wolf Suschitzky, tat noch vor zehn Jahren die Nachricht von der Agententätigkeit seiner Schwester als völligen Nonsens ab. Peter Stephan Jungk machte sich daraufhin in detektivischer Kleinarbeit auf Spurensuche. Er befragte noch lebende Freundinnen seiner Großtante, fand Briefe und klopfte sogar bei Geheimarchiven rund um die Welt an. In einem jahrelangen Geduldspiel versuchte er etwa in das KGB-Archiv vorgelassen zu werden, unterstützt von hochrangigen früheren Geheimdienstmitarbeitern.

Geschichte einer Suche und eines tragischen Lebens

Peter Stephan Jungk erzählt die Geschichte seiner Spurensuche und die Geschichte seiner Tante. Beide sind hochspannend, das Leben der Edith Tudor-Hart ist darüber hinaus an Tragik kaum zu überbieten. Eine gescheiterte Ehe, zahlreiche unglückliche Liebschaften, dazu der autistische Sohn, der ein lebenslanger Pflegefall blieb. Trotzdem schaffte es Edith Tudor-Hart daneben noch einige der beeindruckendsten und aufwühlendsten Fotoreportagen des Zwanzigsten Jahrhunderts zu realisieren und im englischen Exil ihrer geheimen Agententätigkeit nachzugehen.

Ein Selbstporträt zeigt Edith Tudor-Hart als selbstbewusste Intellektuelle der Zwischenkriegszeit, Zigarette in der Hand, der Blick bestimmt, aber traurig. Politische Ideologie und Liebesleben waren bei ihr untrennbar verbunden. Fast alle ihre Geliebten waren Kommunisten oder sogar selbst Agenten, einer von ihnen, der Physiker Engelbert Broda stammte sogar aus einer österreichischen Politikerfamilie. Peter Stephan Jungk: "Einem Ex-KGB-Mann wurde bekannt, dass Engelbert Broda, der Bruder des früheren Justizministers Christian Broda, einer der fünf wichtigsten Atomspione war, die die Sowjetunion je hatte."

Mitreißender Lebenslauf, packende Zeitgeschichte

"Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" ist gleichzeitig mitreißender Lebenslauf und packende Zeitgeschichte. Peter Stephan Jungks unnachgiebige Spurensuche zeigt aber auch, und das macht einen besonderen Reiz seines Buches aus, wie dunkel und lang die Schatten noch immer sind, die der Kalte Krieg in die Gegenwart wirft.

Service

Peter Stephan Jungk, "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart", S. Fischer
Die Zeit - "Die Liebe zum edlen Kommunismus", Interview mit Peter Stephan Jungk

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