Konflikt um Pariser Philharmonie

Jahrzehntelang ist beklagt worden, dass Paris als einzige große Metropole über keinen erstklassigen Konzertsaal für klassische Musik verfügt. Nach fast drei Jahrzehnten Debatte, sieben Jahren Bauzeit und einer Verdreifachung der Baukosten auf fast 400 Millionen Euro steht die Pariser Philharmonie jetzt am Ostrand der Stadt im Kulturpark La Villette, entworfen vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel.

Aber statt Freude herrscht Streit: Nouvel sagt nämlich, man habe ihm, um schneller eröffnen zu können, die gesamte Endfertigung aus der Hand genommen und ihn seines Werkes beraubt.

Pariser Philharmonie

APA/EPA

Morgenjournal, 20.7.2015

Es erhebt sich ein Komplex, unweit der Pariser Ringautobahn, verkleidet mit 80.000 Aluminiumplatten, die kleinen Vögeln ähneln. Ein Komplex, der von weitem aussieht, als hätten sich Stein- und Metallplatten in- und gegeneinander verschoben; ein Chaos, aus dessen Dachkonstruktion in 30 Metern Höhe ein riesiger dunkler Quader herausragt. Bei näherem Hinsehen jedoch: Risse in den Steinplatten und im Beton, fehlerhafte Fixierungen und Teppichböden und Baustelle rundherum

"Dieser Bau soll seine Würde wiederfinden"

"Man hat den Eindruck von Vandalismus und dass man bei der Qualität des Gebäudes nachlässig war", meint ein Besucher. Architekt Jean Nouvel spricht gar von Rufschädigung für seine weltweit arbeitende Agentur und sieht sein Werk sabotiert: "Es ist das erste Mal, dass mit einem öffentlichen Gebäude so umgegangen wird. Ich möchte jetzt, dass die Welt der Musik der Architektur hilft. Es reicht nicht, in einem Saal nur gut hören zu können. Dieser Bau ist für das Image der Hauptstadt sehr wichtig und für das Image Frankreichs. Ich möchte vor allem, dass dieser Bau seiner Würde wiederfindet und wird, was er sein sollte, nämlich eines der Prunkstücke der Architektur des 21. Jahrhunderts in Paris."

Großartige Akustik, 96 Prozent Auslastung

Diese Polemik wirft einen gewissen Schatten auf eine erste Bilanz der Pariser Philharmonie nach sechs Monaten, die sich mehr als sehen lassen kann: Der flexibel gestaltbare Konzertsaal mit 2.400 Plätzen war zu 96 Prozent ausgelastet, internationale Stars gaben sich die Klinke in die Hand, ein Teil der Fachpresse ist begeistert.

"Ich hätte nie gedacht, dass es in Paris eines Tages einen so wunderbaren Konzertsaal geben würde. Die Pariser Philharmonie ist außergewöhnlich und die Akustik eine der besten der Welt." So zitiert der Direktor der Philharmonie, Laurent Bayle, keinen geringeren als Daniel Barenboim.

450.000 Besucher in ersten 100 Tagen

Und gleichzeitig wird jetzt schon deutlich, dass das Konzept - wonach die Pariser Philharmonie mehr als nur ein Konzertsaal für klassische Musik sein will, sondern eine rund um die Musik im weitesten Sinne angeordnete Erlebniswelt, in der auch Jazz, Pop oder Weltmusik ihren Platz haben - aufgegangen ist. Wo auch Ausstellungen, etwa über David Bowie, stattfinden können, und in zahlreichen Probesälen und Studios auch musikpädagogische Aktivitäten möglich sind.

In den ersten 100 Tagen kamen 450.000 Besucher: mehr als die Hälfte zahlende in Konzerten, 135.000 bei Ausstellungen, 68.000 bei musikpädagogischen Veranstaltungen und 50.000 frei zugänglichen Konzerten.

Auch für neues Publikum attraktiv

Ganz besonders darf sich die Philharmonie darüber freuen, dass es ihr gelungen ist, das herkömmliche Publikum von Liebhabern klassischer Musik, das eher im noblen Pariser Westen angesiedelt ist, an die Peripherie im eher populären Osten der Stadt zu holen und gleichzeitig attraktiv zu sein für ein anderes, ein neues Publikum. Von einem neuen Modell der Vermittlung der Musik spricht Laurent Bayle und von der Föderation verschiedenster Musikgattungen.

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