Künstler engagieren sich für Flüchtlinge

Eine Schweigeminute für die Flüchtlinge in Traiskirchen dominiert derzeit die iTunes-Charts und hat sich auch bei Amazon unter die Bestseller gereiht. Der Reinerlös dieses vom Künstler Raoul Haspel initiierten ruhigen Protestes soll den Flüchtlingen in Traiskirchen zugutekommen. Ungewöhnlich schweigsam und zurückhaltend verhält sich derzeit die heimische Künstler- und Intellektuellenszene. Täuscht dieser Eindruck?

Morgenjournal, 27.8.2015

Wie viel Echo ein Schweigen auslösen kann, hat der geräuschlose Song gezeigt, der die Charts stürmt. Immer mehr Menschen zeigen sich per Klick solidarisch, laden die Schweigeminute Traiskirchen auf ihr Smartphone und spenden nebenbei 99 Cent. Ausländische Medien von BBC bis Al Jazeera berichten darüber. "Irgendwann kommt einmal der Punkt, wo alle Argumente vorgebracht sind", sagt Initiator Raoul Haspel, "wo man durch ein noch lauteres Zurückreden oder Zurückgrölen nicht mehr ankommt - oder weil einfach die Zustände so verheerend sind, dass einem einfach die Worte fehlen."

Doch gibt es mehr als stille Mausklick-Solidarität? Ja, sagt Karl-Markus Gauß, denn es sei erstaunlich, wie groß die Bereitschaft der Bevölkerung sei etwas für Flüchtlinge zu tun: Das sei das merkwürdige, so der Schriftsteller, "Kaiser Joseph II. war revolutionärer als die Gesellschaft. Heute ist es ganz klar, dass die Gesellschaft wesentlich weiter ist als der Staat."

Für eine humane Flüchtlingspolitik

Die schweigende Mehrheit der Menschen in Österreich sage "Ja" zu einer humanen Flüchtlingspolitik, meint auch die Regisseurin Tina Leisch, das habe sie gespürt, als sie Ende Juli gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern eine Woche lang in einem Zelt vor der Staatsoper Mahnwache hielt. "Wir haben sowohl vor der Oper, in der Mariahilferstraße, als auch am Viktor-Adler-Markt gemerkt, dass der Großteil der Leute positiv eingestellt war", so Tina Leisch.

Die Hilfe kommt in vielen Fällen ganz unmittelbar: So bietet Tina Leisch derzeit Workshops für Jugendliche in Traiskirchen an. Der Schriftsteller Robert Menasse gibt in seinem Waldviertler Domizil Deutschkurse für Flüchtlinge, oder er hilft mit, für jugendliche unbegleitete Flüchtlinge Aktivitäten zu organisieren: "Damit sie die nicht den ganzen Tag herumhängen, weil sie keine Möglichkeit haben etwas zu tun, oder sie nichts tun dürfen", erklärt Menasse. "Das macht jeder in seinem unmittelbaren Lebenskontext."

"Das Geschäft mit der Angst floriert", Menasse

Menasse sieht die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung - das Geschäft mit der Angst floriere, und spiele den rechten Parteien in die Hände. "Die Frau Innenministerin sagt ja nicht: 'Der Strache hetzt und das ist gemeingefährlich, und ich als Innenministerin verbürge mich für eine sachliche Migrationspolitik.' Sondern sie sagt: 'Es kommen viel zu viele, und ich verspreche euch, ich werde das eindämmen. Ich verstehe es, dass ihr Angst habt vor diesen Vergewaltigern und Drogensüchtigen und Drogendealern. Glaubt mir ich werde das eindämmen!' Dann kann sie es nicht eindämmen, und die Leute sagten: 'Aber der Strache wird das können.'"

"Politik agiert boshaft", Rabinowich

In Interviews, Zeitungskolumnen, in Blogs und auf Facebook melden sich Intellektuelle und Künstlerinnen und Künstler ganz offen zu Asyl- und Migrationspolitik zu Wort. So auch die Schriftstellerin Julya Rabinowich. "Ich habe ja nicht das Gefühl, dass die Politik versagt. Ich habe das Gefühl, dass die Politik boshaft agiert, und ich muss ehrlich sagen, dass ich in meiner gesamten Zeit in Österreich eine solche Handhabung nie erlebt habe und mich das zutiefst verschreckt."

Schalko vermisst einen Schlingensief

Ohne Zweifel die Empörung ist da, die große öffentliche Aktion hat aber noch nicht stattgefunden. David Schalko hat gepostet, er würde in Zeiten wie diesen einen Christoph Schlingensief vermissen. Julya Rabinowich glaubt, "dass die Menschen so mit der Hilfe beschäftigt sind, die sie selbst leisten, dass noch keine Großveranstaltung tatsächlich geplant worden ist."

Abzuwarten bleibt, ob die heimischen Künstlerinnen und Künstler nach der sommerlichen Schweigeminute ihre Stimmen wiederfinden, um gemeinsam jene klaren Worte und Statements zu finden, die man von Seiten der Politik bisher vermisst.

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