Der neue Setz

Der neue Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" von Clemens Setz kommt in den nächsten Tagen in den Buchhandel und so viel weiß man jetzt schon: Es ist ein literarisches Großereignis in diesem Bücherherbst. Über 1.000-Seiten lang, ist der Roman des 33-jährigen Grazers auch bereits für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Morgenjournal, 4.9.2015

„Wunderkind der österreichischen Literatur“ wurde Clemens Setz genannt, als er anno 2009 mit seinem gefeierten Roman „Die Frequenzen“ zum ersten Mal für diesen renommierten Preis nominiert war und drei Jahre später gleich noch einmal mit „Indigo“.

Im Kulturjournal um 17.09 gibt es ein ausführliches Gespäch mit Clemens Setz.

"Das Leben schön finden, macht man heute so"

Einen Beipackzettel gibt es nicht zu dem Buch, hier aber vorweg eine Warnung: die Lektüre dieses Romans kann Ihren Gemütszustand verändern. Psychoterror, Demütigungen, Ekelszenen, Quälereien - wenn wir Natalie Reinegger folgen, sind wir mit dabei. "Ich bin ganz bei dieser Figur", sagt ihr Autor, "Natalie steht nah an mir dran in der Art wie sie mit der Welt interagiert und wie sie funktioniert".

Natalie ist 21, eine frisch diplomierte Behindertenpädagogin. Sie kümmert sich um Alexander Dorm, einen schwulen Stalker, der eine Frau auf dem Gewissen hat. Dorm sitzt im Rollstuhl und wird regelmäßig besucht und zwar ausgerechnet von Christopher Hollberg, jenem Mann, den Dorm verfolgt hat und dessen Frau er in den Selbstmord getrieben hat. Dieses Arrangement mit sado-masochistischen Zügen treibt die Handlung voran. Natalie will herausfinden, was dahintersteckt und wird bald selbst zum Teil des perversen Settings. Rasch gerät der Leser/die Leserin in den Sog dieser Geschichte und findet sich wieder in einer Welt der Abgründe und Obsessionen. "Ich wollte einmal etwas wirklich ganz Anderes probieren", so Setz.

Seine Protagonisten unterstützen Clemens Setz dabei tatkräftig: Sämtliche Personen, die hier auftreten, sind irgendwie - sagen wir: auffällig. Natalie etwa hat nicht nur bizarre sexuelle Gewohnheiten, sie spricht auch mit Aalen, hat Angst vor der bewusstseinsverkleinernden Wirkung des städtischen Trinkwassers und sie zeichnet regelmäßig ihre Essgeräusche mit dem iPhone auf. "Diese kleinen Live-Hacks gehören zum normalen Verhalten von Menschen um die 20", weiß Clemens Setz, "zumindest, die die ich kenne machen das und finden das schön. Es ist so wie für Ältere das Spazierengehen oder das Liegen in einem Liegestuhl. Das Leben schön finden, macht man heute so".

Digitale Lebensgewohnheiten

In der zeitgenössischen Literatur sind diese Lebensgewohnheiten der digitalen Generation bis dato nicht angekommen, meint Clemens Setz, "weil es eben schwer ist, Chat-Gespräche zu beschreiben, weil die so chaotisch hin- und herschwappen. Da läßt man die Figuren lieber persönlich miteinander reden. In Wirklichkeit schaut es so aus, dass man drei Facebook-Chats gleichzeitig macht und immer hin- und herspringt."

Wenn Clemens Setz diese Techniken in seinen Roman transferiert, reflektiert er auch gleich die Netzkultur und zwischen Games, Chatrooms und Apps führt er Natalie regelmäßig ihre Lieblingsdroge zu: Nonseq, einem von Setz erfundenen Kunstwort aus "non sequitur", also zusammenhanglose Rede. Sinn und Unsinn, normal und verrückt - die Grenzen sind bekanntlich fließend und in diesem Buch sind sie nicht mehr auszumachen. Am Ende, nach mehr als 1000 Seiten, stellt man fest, dass man sich gut eingerichtet hat in dieser Welt der Irritationen. Erschöpft und entspannt - nicht zuletzt dank Nonseq.

Textfassung: Joseph Schimmer