Kurzessay zu Jeremia 33, 14 – 16
Vielleicht ist der Traum von einer gerechten Welt so alt wie die Menschheit selbst. Philosophen welcher Zeit auch immer mühten sich mit Theorien ab, Literaten rangen mit dem Schicksal von Menschen, die an der faktischen Ungerechtigkeit dieser Welt zerbrechen.
8. April 2017, 21:58
Dort, wo politische Systeme Gerechtigkeit mit Gewalt durchsetzen wollten, verschwand sie sogleich. Sie ist leicht zu träumen, aber schwer zu haben.
Von Gerechtigkeit träumen auch jene, deren Heimat zerstört wurde. In eine solche Situation führt der Text aus dem Buch des Propheten Jeremia. Er ist eine Antwort auf die Erfahrung des babylonischen Exils – Jerusalem und Juda wurden erobert, Teile des Volkes wurden deportiert. Hier wird ein Grund zur Hoffnung auf einen Neuanfang behauptet.
Ein Verheißungstext also. Doch erstaunlicherweise wird die Verheißung nicht, wie sonst üblich, an einen künftigen Herrscher geknüpft, der das Heil bringen soll. Sondern über eine Stadt wird gesagt, dass man in ihr derart sicher wohnen können wird, dass sie den Namen bekommen wird: "Jahwe ist unsere Gerechtigkeit."
Was ist eine Stadt? Sie besteht aus Mauern, Häusern, Verkehrsampeln, Schulen, Brücken, Straßen, Zäunen. Die großartigsten Stadtromane wissen mit Vielstimmigkeit zu erzählen, dass eine Stadt eine Gleichzeitigkeit von viel Ungleichzeitigem ist, vor allem aber: Menschen sind die Stadt. Lauter unterschiedliche Menschen. Menschen also werden so sein, dass man sagen kann: "Jahwe ist unsere Gerechtigkeit."
Ein schöner Traum. Gelesen am 1. Adventsonntag, einem Tag, an dem Christen die erste Adventkerze anzünden und ihren Kindern erzählen, dass Advent Ankunft bedeutet und man in dieser Zeit des Kirchenjahres auf die Menschwerdung Gottes wartet, die dann zu Weihnachten gefeiert wird. Dass aber auch gehofft wird auf seine Wiederkehr. Dass also einerseits etwas schon stattgefunden hat, andererseits aber noch stattzufinden hat.
Schon ist Gott Mensch geworden, glauben die Christen, und hat die Welt erlöst. Und dennoch sieht sie noch gar nicht so erlöst aus. Es bleibt die Hoffnung, dass Menschen einander das werden, was diese Verheißung sagt. Dass ihr Gott Gerechtigkeit heißt, kann nur bedeuten, dass sie selbst gerecht sind, gerecht handeln. Dass sie zum Beispiel Fremde in ihrer Mitte in Sicherheit leben lassen.
Vom Traum von einer gerechten Gesellschaft an diesem ersten Adventsonntag des Jahres 2015 zu sprechen, geht gar nicht, ohne an den Traum all jener zu denken, die gerade Hunderte Kilometer zurücklegen und unterwegs sind, um an eben einem solchen Ort, in so einer Stadt anzukommen.