"Kommt ein Pferd in die Bar" von David Grossman

"In meinen Werken gibt es einen Hang zur Trauer, und dagegen kämpfe ich an", sagt der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman. Sein jüngster Roman, "Kommt ein Pferd in die Bar", scheint dieses selbstgesteckte Ziel auf den ersten Blick zu erfüllen.

Er handelt von einem Stand-up-Comedian, ist rasant geschrieben und gespickt mit Witzen. Doch unter dieser Oberfläche geht es auch hier um die Lebensthemen in Grossmans Werk: um Schuld, um den Umgang mit einem tiefen Trauma und um Vergebung.

Morgenjournal, 6.4.2016

Der Autor und Friedensaktivist bei der Buchvorstellung in Berlin,

Es war gar nicht so einfach, sagt David Grossman, die Kunst des Witzeerzählens, oder vielmehr des Aufschreibens von Witzen für seinen jüngsten Roman zu erlernen. "Es ist wirklich eine Kunst, einen Witz ordentlich zu erzählen. Es kommt sehr auf die Sprache an, auf das Timing, wann genau setze ich die Pointe", so der Autor.

Traurigkeit hinter dem Humor

Für die Hauptfigur in seinem jüngsten Roman, für den Stand-up-Comedian Dovele ist Witzemachen zur zweiten Natur geworden. Er war als Kind ein Außenseiter in der Schule und später auch im Jugendlager; er hat sich einen Panzer aus Humor zugelegt. Doch dahinter verbirgt sich eine große Traurigkeit. Die Erzählzeit des Romans umfasst nicht einmal zwei Stunden: Dovele steht auf einer Bühne in der israelischen Küstenstadt Netanja und kämpft um die Gunst eines launischen und recht aggressiven Publikums. Denn Dovele hält sich nicht an das Skript - er erzählt auf der Bühne seine Lebensgeschichte und setzt sein Innerstes dem Voyeurismus seines Publikums aus.

Lust an ein bisschen Leid

"Es gibt diese perverse Lust einen Blick in die Hölle eines anderen zu werfen", so Grossman. "Drauf basiert doch auch der Erfolg der modernen Medien. Ein kurzer Blick auf das Leiden der anderen. Aber nicht zu viel, nicht die große Wunde, die uns Dovele zeigt. Denn das ist schwer zu ertragen, sich ernsthaft mit dem Schmerz eines anderen auseinanderzusetzen."

Das erlebt auch ein pensionierter Richter im Publikum. Er hat seine Jugendfreundschaft mit Dovele verdrängt und auch den Moment, in dem er ihn damals verraten hat. Jetzt sitzt er da und wartet auf eine Anklage, aber sie kommt nicht. "Dovele klagt ihn nicht an. Er erzählt von der Schuld des Richters, aber ohne ihn anzuklagen", erklärt der Autor. "Das ist ein großartiger Augenblick. Denn der Richter verhärtet sich nicht. Er kann annehmen was damals passiert ist und sich endlich wirklich damit auseinandersetzen. Er bekommt eine zweite Chance, wie vor einem Berufungsgericht."

Ein zutiefst politisches Buch

Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Grossmans Roman ein zutiefst politisches Buch ist, in das alles hineinspielt, was Israel an ungelösten Problemen quält. Doveles Geschichte, die Reaktion des Publikums zwischen Aggression und Gleichgültigkeit; die Schuld desjenigen, der Weggesehen hat. Mit all diesen Verletzungen meint David Grossman immer auch die Beschädigung der israelischen Gesellschaft - das traumatisierte Familienleben von Holocaust-Überlebenden und ihren Kindern und der tödliche Konflikt mit den Palästinensern.

Israels "angelernte Gleichgültigkeit"

"Es gibt in Israel so etwas wie eine angelernte Gleichgültigkeit", sagt Grossman. "Unsere Gesellschaft hat sich beigebracht, den Schmerz der Palästinenser nicht zu sehen. Immer mit einer guten Entschuldigung, denn auf unserer Seite gibt es ja auch so viel Leid und Schmerz. Wir müssen aber hinsehen. Wir brauchen Frieden mit unseren Nachbarn. Nur dann werden wir endlich so leben könne, wie wir uns das erträumen."

Service

David Grossman: "Kommt ein Pferd in die Bar", Roman, aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Hanser Verlag
Originaltitel: "Sus Echad Nichnas Le-Bar"

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