Mehr Hilfe für Ex-Heimkinder gefordert

Die Republik Österreich und die Katholische Kirche planen für Mitte November einen Staatsakt im Parlament für das an Heimkindern geschehene Unrecht. Aber viele ehemalige Heimkinder sind unzufrieden mit dem was Bund und Länder bisher getan haben. Und auch Experten fordern: Einerseits sollten Ex-Heimkinder höhere Zahlungen oder Verbrechensopfer-Renten bekommen und andererseits sollten die Verjährungsfristen für Schmerzensgeld-Klagen geändert werden.

Morgenjournal, 27.9.2016

Kindergefängnisse nennt die Psychologin und Uni-Professorin Brigitte Lueger-Schuster viele Heime der 1960er und 70er Jahre. Betroffen waren Kinder aus armen, mittellosen Familien - von Ärzten teils als biologisch minderwertig beschrieben - sagt der Tiroler Historiker Horst Schreiber: "Und ich konnte manchmal nicht unterscheiden, ob ich mich beim Lesen solcher Gutachten in der Nazi-Zeit befunden habe oder in den 70er Jahren."

Über Fälle psychischer, physischer und sexueller Gewalt durch Erzieherinnen und Erzieher wurde schon viel berichtet - und auch über von ihnen tolerierte und teils geförderte Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Die bisher geleisteten Anerkennungszahlungen - meist 20.000 bis 30.000 Euro in schwereren Fällen - reichen da nicht, kritisiert der Sozialpsychiater und Uni-Professor Thomas Stompe: "Sie können häufig nicht arbeiten. Man müsste einmal berechnen, wieviel jemand im Durchschnitt unter normalen günstigen Lebensumständen verdienen würde, und ich glaube, da sind 30.000 Euro deutlich zu kurz gegriffen."

Und Psychologin Lueger-Schuster sagt: "Ich glaub, dass eine Aufstockung dringend notwendig wäre, wenn ich höre, was uns die Betroffenen erzählen und in welcher gesundheitlichen Verfassung die sind."

Doch wenn die Ex-Heimkinder Schmerzensgeld einklagen, scheitern sie meist an der Verjährungsfrist von maximal 30 Jahren, kritisiert Heimkinder-Sprecher Michael Köck. Früher habe gegolten: "Es sind alle Anzeigen von Eltern oder Betroffenen nicht verfolgt worden. Die Heimkinder waren immer Lügner. Heute ist man gescheiter, aber es ist alles verjährt. Das ist ein Skandal."

Der Historiker Horst Schreiber spricht deshalb von einer aktiv herbeigeführten Verjährung - "weil Institutionen massenweise Akten vernichtet haben, so dass Heimkinder häufig gar nicht die Möglichkeit der Beweisführung haben."

Die Sozialpsychiater Stompe und Thomas Wenzel wollen in einer Arbeitsgruppe einen Vorschlag zu einer Gesetzesänderung erarbeiten.

Zweitens scheint es für Heimkinder auch kaum möglich zu sein, eine Rente des Sozialministeriums als Verbrechensopfer zu bekommen. Michael Köck: "Alles, was in einem Heim passiert ist, wird ausgeblendet von den Gutachtern. Nur ca. 5 Prozent der Antragsteller sind durchgekommen."

Und drittens kritisiert die Psychologin und Studienautorin Irmtraud Karlsson, dass Frauen Pensionszeiten nicht angerechnet werden, wenn sie als Heimkinder arbeiten mussten:
"Als Kindermädchen und Putzfrauen, auch als Hilfskräfte für diverse Firmen. Das ist dokumentiert. Wenn man ihnen diese frühen Zeiten anerkennt, würden sie auch die Kindererziehungszeiten anerkannt bekommen."

Ob der Heimkinder-Staatsakt im Parlament Mitte November ein Abschluss der Aufarbeitung wird, erscheint fraglich - angesichts der vielen Kritikpunkte.