Volkstheater: Stefanie Reinsperger als Medea

Es hat wohl mit der Flüchtlingsthematik zu tun, dass die Geschichte der Medea derzeit auf den Spielplänen der Theaterhäuser so hoch im Kurs steht. Am Landestheater St. Pölten, bei der Ruhrtriennale, im Münchner Volkstheater und ab Sonntag auch am Wiener Volkstheater nimmt man sich des Stoffes an.

Volkstheaterdirektorin Anna Badora zeigt den dritten Teil von Grillparzers "Goldenem Vlies" als eigenes Stück. Es ist - nach "Fasching" im Vorjahr - ihre zweite große Inszenierung am eigenen Haus. In der Hauptrolle als Medea ist Stefanie Reinsperger zu sehen, die neue Salzburger Buhlschaft.

Stefanie Reinsperger

APA/HANS KLAUS TECHT

Mittagsjournal, 18.11.2016

Opfer oder Täterin?

Eine Familie in der Fremde, Ausgestoßene der Gesellschaft, zerrissen zwischen zwei Kulturen. Mit der Assimilierung tun sie sich schwer, ihre Ehe wird auf eine harte Probe gestellt, vor allem als sich für den Mann die Chance auf einen Neubeginn ergibt, für die Frau aber die Abschiebung droht. Der Mann ist Jason, die Frau ist Medea, eine der ambivalentesten Frauengestalten der Weltliteratur, die als rachsüchtige, rasende Kindsmörderin unzählige Dichter inspiriert hat.

Opfer oder Täterin? - die ewige Frage. "Man kann diese Tat nicht rechtfertigen, das ist wirklich was, was sie im Affekt überkommt", sagt Stefanie Reinsperger. "Ich verteidige meine Figur, weil ich sie liebe und toll finde und auch die Punkte sehe, wo sie zum Opfer wird, aber sie ganz klar natürlich auch Täterin sehe."

"Die erdige Sprache liegt mir"

Reinsperger ist derzeit einer der schillerndsten Sterne am Theaterhimmel - hochgelobt, mit Preisen überhäuft und als Salzburger Buhlschaft designiert. Als Wucht auf der Bühne wird sie beschrieben, mit ihrer hochemotionalen Spielweise lotet sie Grenzen aus und überschreitet sie zuweilen und lässt das Publikum, das derzeit vermehrt mit postdramatischen Denkanstößen konfrontiert wird, wohlig erschauern.

In zeitgenössischen Rollen hat sie ihren kometenhaften Aufstieg am Burgtheater begonnen, doch auch die Grillparzersche Sprache komme ihr sehr entgegen, so Reinsperger: "Das Tolle bei Grillparzer ist, dass er den Kolchern, der Familie wo Medea herkommt, und den Griechen eine andere Sprache gibt. Die Kolcher haben eine sehr erdige Sprache, so ein bisserl aus dem Bauch heraus und direkter; und das ist etwas, das mir auf jeden Fall liegt."

Frage nach der Fremdheit

Die Aktualität des "Medea"-Stoffes liege auf der Hand, so Regisseurin Anna Badora, die sich mit dem Grillparzerschen Text bereits zum zweiten Mal auseinandersetzt. "Mir war wichtig, die Frage nach der Fremdheit zu stellen. Das Theater muss die brennenden Fragen der Gegenwart aufgreifen und in Bildern und Geschichten aufbereiten, und es ist ein Unterschied ob man die Nachrichten hört, oder ob man ein Gesicht auf der Bühne sieht."

Stefanie Reinsperger fügt hinzu: "Ich glaub, wenn man heute auf der Bühne sagt, 'wer ist der Fremde', dass das was anderes in dem Zuschauer auslöst und eine andere Gedankenwelt aufmacht, als noch vor sechs Jahren, und das spricht doch sehr für diesen alten Text."

Wechsel an das Berliner Ensemble

Dass ihr Publikumsmagnet Stefanie Reinsperger in der kommenden Saison ans Berliner Ensemle zu Oliver Reese wechseln wird, nimmt Anna Badora mit Bedauern, aber der notwendigen Gelassenheit zur Kenntnis. "Was kommt, das kommt. Die Theaterleute leben immer im Hier und Jetzt, und es ist üblich, dass man alle zwei bis drei Jahre wechselt. Natürlich ist das ein Riesenverlust, aber so ist es im Theaterleben."

Mit der klassischen "Medea" geht Anna Badora einen Schritt auf das Wiener Publikum zu, das mit ihrem ersten Spielplan noch etwas überfordert war. Ob das Publikum das Angebot annimmt, wird die Premiere am Sonntag zeigen.

Service

Volkstheater - Medea

Ein ausführliches Interview mit Anna Badora können Sie heute im "Ö1 Kulturjournal", um 17.09 Uhr hören.