"Medea"-Premiere am Wiener Volkstheater

Mit Spannung erwartet und prominent besucht war Sonntagabend die Premiere von "Medea" am Wiener Volkstheater. Volkstheater-Direktorin Anna Badora legte die zweite Inszenierung ihrer Intendanz vor und wählte dafür den dritten Teil von Franz Grillparzers Argonautentrilogie "Das Goldene Vlies".

Szenenfoto: Eine Frau, angespannt, im Hintergrund zwei Männer

Die kommende Buhlschaft Stefanie Reinsperger als "Medea".

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Wie alles kam

Am Ende steht ein Amoklauf - Medea tanzt mit den beiden toten Kindern auf ihren Schultern zu Walzerklängen, während der Königspalast brennt. Wie es dazu gekommen ist - hat das Publikum zweieinhalb Stunden mitverfolgen können.

Da waren kleine Erniedrigungen und große Drohungen, verletzende Worte und Demütigungen, ein Sorgerechtsstreit und ein Kindheitstrauma und am Ende auch ein paar Zufälle. Nicht mehr dem Fluch der Götter ist man ausgeliefert, sondern dem sozialen Druck. Es ist das Drama einer missglückten Integration und einer sich überlegen fühlenden Gesellschaft, die dem Fremden nichts entgegenzusetzen vermag, als Grenzen.

Anna Badora

Volkstheaterdirektorin Anna Badora

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Geschickte Rückblenden

Starke Bilder hält Anna Badora an diesem Abend bereit. Die beiden ersten Teile des Goldenen Vlies - „Der Gastfreund“ und „Die Argonauten“ - baut sie zum besseren Verständnis der Figuren als Rückblenden und Erinnerungen ein.

Wie Kopfschmerzen suchen sie Medea heim und spielen sich hinter der verglasten Veranda der schwarzen Festung ab, an deren Mauer sich das schäbige Zelt der Kolcher schmiegt. Dass sich in den Scheiben zu Beginn des Stückes auch der Zuschauerraum spiegelt ist sicherlich kein Zufall - und doch verzichtet Anna Badora auf allzu deutliche Zeitbezüge, die Flüchtlingskeule oder den erhobenen Zeigefinger.

Stefanie Reinsperger gibt die Medea im roten Samtkleid, und mit hochgesteckten Haaren, einmal als gewohnt entfesselte Urgewalt, am Rande des Wahnsinns, weil ihr die Kinder entzogen werden, dann wieder erstaunlich zart und auch in leiseren Tönen überzeugend, die ihr bestes gibt, um sich anzupassen, und sich dafür auch der Lächerlichkeit preisgibt, wenn ihr die Nebenbuhlerin Kreusa - Evi Kehrstephan spielt sie als gönnerhafte Lady - das Tanzen und Singen beibringt.

Szenenfoto eine Tanzende

Tanz, Baby, Tanz: Stefanie Reinsperger (Mitte) als "Medea", Evi Kehrstephan als "Kreusa" und Gabor Biedermann als "Jason"

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Anhaltender Applaus

Gabor Biedermann ist ein charakterschwacher Jason, Günther Franzmeier ein schmieriger Kreon und Anja Herden die treue Freundin Gora.

Langer und anhaltender Applaus krönt den Abend. Die Medea, die Grillparzer vor 200 Jahren dem Euripides nachgedichtet hat, ist - von zeitlichen Blessuren fast unbeschadet - im Jahr 2016 angekommen. Und mit ihr, so scheint es auch Anna Badora, endlich in Wien.

Studioaufnahme

Bei den Aufnahmen zu "Medea" im Ö1 Hörspielstudio; Joseph Lorenz und Silvie Rohrer

ORF/MIRELA JASIC

Text: Katharina Menhofer, Textbearbeitung: Joseph Schimmer