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ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

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Schreiben über das Schreiben

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass unter allen Kunstgattungen die Literatur die einzige ist, die sich selbst mit ihren eigenen Mitteln darstellen kann?

Das Malen lässt sich nicht malen und über Musik lässt sich nicht musikalisch reflektieren. Man kann sich zwar auf Musik oder Malerei beziehen, man kann Bestehendes ein- oder umarbeiten, man kann variieren oder improvisieren, doch um das Malen und die Musik zu beschreiben oder über sein künstlerisches Tun zu reflektieren, bedarf es der Sprache. Literatur allerdings, die ja Sprache ist, kann sich selbst zum Thema machen. Über das Schreiben lässt sich schreiben, nicht nur kritisch oder theoretisch, sondern auch und vor allem: literarisch. Das Wort ist Klang und Bild und Sprache und somit das anspruchsvollste künstlerische Ausdrucksmittel.

Gestaltloses zum Kristallisieren gebracht

Ein Text kann zum Beispiel davon handeln, dass er im Moment des Schreibens entsteht. So wie bei Kleist der Gedanke erst im Akt des Sprechens Form annimmt, so wie es also die grammatikalische Struktur braucht, um aus formlosen Ideen eben Gedanken zu verfertigen, die einem Gegenüber vermittelt werden können, kann Literatur aus dem Akt des Aufschreibens bestehen. Was er schreibe, meinte Marcel Proust einmal, bestehe aus den Empfindungen beim Aufwachen, wenn man nicht weiß, wo man ist, und sich fühlt wie vor zwei Jahren in einem anderen Land.

Diese Orientierungslosigkeit oder einfach nur eine Befindlichkeit kann unmittelbar in Sprache übersetzt werden, in einer Art Rausch kann das Gestaltlose zum Kristallisieren gebracht werden. In der Malerei oder in der Musik erschöpft sich dieser Übersetzungsvorgang in der Geste. Das ist aber ein affektiver, kein intellektueller Vorgang. Bei aller Komplexität, die etwa einem Musikstück innewohnt, sind die kommunizierten Inhalte beschränkt - und schon gar nicht ist die Entstehung des Klanges durch den Klang selbst ausdrückbar.

Dialog mit dem sprechenden Bewusstsein

Nun ist es so, dass das Bewusstsein Inhalte des Unbewussten zur Sprache bringt. Bilder und Gefühle vergegenwärtigen wir uns, indem wir sie versprachlichen. Wenn wir denken, sprechen wir - mit uns. Oder etwas spricht in uns, wir können das gar nicht beeinflussen. Der Schriftsteller tritt in einen Dialog mit diesem sprechenden Bewusstsein und versucht, all den Worten und Sätzen, die sich im Kopf zusammenbauen, die einander widersprechen, die zerfallen und sich neu bilden, eine Form zu geben. Paul Nizon nannte das eine Verlebendigungslust, die wie alle Lust, sich nicht zuletzt an sich selbst entzündet. Nur die Sprache ermöglicht es uns, über das Sprechen zu sprechen und über das Schreiben zu schreiben.

Text: Peter Zimmermann