Henry-David-Thoreau-Statue

AP/MICHAEL DWYER

Kabeljau und Sand

Henry David Thoreau zum 200. Geburtstag

Ein querköpfiger Philosoph bereist den Ausgangspunkt des amerikanischen Mythos: Henry David Thoreau und das Cape Cod.

Das Cape Cod - das Kabeljau-Kap - an der Küste Neuenglands südöstlich von Boston, ist ein mythischer Ort der US-amerikanischen Geschichte, hat doch an seiner Nordspitze, an der Stelle des heutigen Provincetown 1620 die "Mayflower" angelegt. Henry David Thoreau, der am 12. Juli 200 Jahre alt geworden wäre, bereiste das Kap zwischen 1849 und 1857 insgesamt vier Mal.

Kabeljauköpfe

Per Postkutsche und Boot, vor allem aber zu Fuß umrundet er das auf der Landkarte wie der gebeugte Arm eines Athleten geformte Kap auf dessen wüstenartigen Sandstränden und durchquert es an kargen wie an fruchtbaren Stellen.

Der Atlantik - Nahrung, Tod und wieder Nahrung

Alles Leben dreht sich hier um das Meer. Der Atlantik sorgt mit seinen Austernbänken, seinen Kabeljau-, Makrelen- und Hering-Schwärmen, mit seinen Barschen und Walen und essbaren Algen für die Nahrung; die zahllosen Schiffbrüche an der viel befahrenen, sandigen und sturmumtosten Küste ermöglichen einen schwunghaften Handel mit Treibgut - vom Werg über die Ladung Muskatnüsse, bis zum Matrosenmesser und zur Schnupftabaksdose, vom Segeltuch bis zum Holz aus den Wrackteilen - alles Gefundene wird verwendet, verwertet oder verkauft.

Stürme

Zur Rettung der Schiffbrüchigen, die erschöpft und durchnässt vor allem vom Erfrieren bedroht sind, stellt man nachlässig gepflegte Nothütten mit Feuerstellen an den Strand. Die Stürme sind gewaltig, sie reißen ganze Leuchttürme mit sich und werfen an einem Unglückstag bis zu 100 Leichen ans Land.

Orte und ihre Besonderheiten

Thoreau besucht Orte, in denen die Gartenzäune aus Walknochen gebaut sind, die Apfelbäume nicht über Menschengröße hinauswachsen, Enten von sich schließenden Trog-Muscheln gefangen und Pferde aus seichten Wasserfurten von der Strömung ins Meer gezogen werden. Orte, in denen die Häuser von Gestellen mit trocknendem Kabeljau umgeben sind, der morgens ausgehängt und abends eingeholt wird wie Wäsche, und deren Friedhöfe wenig Gräber besitzen, weil die meisten Toten am Meeresgrund liegen.

Walden Pond

Walden Pond, Massachusetts

AP/ELISE AMENDOLA

Siedler, Händler und Schiffbrüchige

Thoreau überlebt eine Muschelvergiftung, gerät für kurze Zeit in den Verdacht einen Banküberfall verübt zu haben, trifft Austernhändler, Fischer und Strandgutsammler, die Nachfahren alter Siedlerfamilien und schiffbrüchiger Besatzungen.

Knöchel im Sand

Er beschreibt die Lebens- und Wirtschaftsweise sowie das raue Wesen dieser Bevölkerung und ihr manchmal seltsames Verhältnis zur Religion: Wenn sich einerseits an die 5.000 bis zur Hysterie begeisterte Menschen zu riesigen Versammlungen der methodistischen Erweckungsbewegung treffen und man andererseits in nicht allzu ferner Vergangenheit mancherorts das Überleben der Priester ganz in Gottes Hand legte, indem man sich weigerte für sie zu sorgen und ihnen nur gestattete sich von den ab und zu strandenden Grindwalen zu ernähren.

Geschichte und Zukunft

Thoreau rückt auch einige Schieflagen in der britisch tradierten Besiedlungsgeschichte gerade und beschreibt die zivilisatorischen Leistungen der Ureinwohner und der französischen Siedler, die hier schon vor den Pilgrims gelebt haben. Auch sagt er dem Kap eine Zukunft als Erholungsgebiet voraus. Schließlich verlässt er den Ort, dessen Bedeutung er vom amerikanischen Gründungsmythos auf den Boden der Tatsachen geholt hat, per Schiff nach Boston. Zu Hause in Concord trocknet er das beschriebene Papier mit Sand aus seinen Schuhen.

Service

Henry David Thoreau, "Kap Cod", aus dem Amerikanischen übersetzt und herausgegeben von Klaus Bonn, Residenz Verlag.

Gestaltung