Baujahr '67

Ein kollektives Generationen-Puzzle - Teil III

Wir wollten die "Generation Ö1" kennenlernen und haben alle Ö1 Club-Mitglieder, die selbst vor fünfzig Jahren, 1967, das Licht der Welt erblickten, eingeladen, mit uns Ihre Gedanken zu teilen.

Erwin Bruckner über Stress bei der Aufnahme

  • Freitag, 12. Juni 2015:Das Wochenende werde ich am Land verbringen. Wie viele Stunden Radiosendung passen auf eine 2 GB SD-Speicherkarte? Meine Stereo-Anlage verträgt kein größeres Datenvolumen. Im "Record-Menu" wähle ich deshalb "Low Quality" aus. Die Aufnahme soll von Samstag auf Sonntag stattfinden. Ich muss also beide "Timer-Record" Funktionen aktivieren. Anders geht es bei meinem Gerät nicht. Zunächst programmiere ich: Samstag 8:00 bis 23:59. Dann: Sonntag 0:00 bis 8:00. Eine Minute wird jedenfalls fehlen.
  • Samstag, 13. Juni 2015: Vor dem Küchenradio liegt ein digitales Diktiergerät. Ich habe es sicherheitshalber aus Wien mitgebracht. 8 GB Speicherplatz. Neue Batterien.
  • Die Acht-Uhr-Nachrichten werden verlesen: Wiens Bürgermeister Michael Häupl sieht Werner Faymann in seiner Funktion als Bundeskanzler nicht gefährdet. Häupl gesteht dem ÖBB-Manager Christian Kern aber Politiktauglichkeit zu. Europäische Regierungschefs besprechen, was zu tun sei, sollte Griechenland nun doch zahlungsunfähig werden. Auch in Spanien hat sich inzwischen eine breite politische Protestpartei formiert. Dekarbonisierung als einziges Mittel gegen den Klimawandel? Morgen ist Weltblutspendetag.
  • Nun drücke ich die Aufnahmetaste. Anlässlich des bevorstehenden "Bloomsday" widmet sich Ö1 vierundzwanzig Stunden lang "Ulysses" von James Joyce. Ausgestrahlt wird die gesamte zweiundzwanzig Stunden lange Hörspielfassung. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks. Übersetzung ins Deutsche von Hans Wollschläger. Regisseur Klaus Buhlert kommt zu Wort. Dann geht es los: Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Im Hintergrund ist Meeresrauschen zu hören. Der Schrei einer Möwe.
  • Vor zwanzig Jahren habe ich mich durch das dicke Suhrkamp-Taschenbuch mit dem grünen Einband gekämpft. Lies einfach weiter, sagte ich mir jedes Mal, wenn ich mich nicht mehr auskannte. Jetzt, denke ich, folgt die Belohnung. Ich werde mir das Buch erklären lassen. Von Leuten, die sich intensiv mit dem Werk befasst haben. Aber nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden. Ich habe Arbeit ins Wochenende mitgenommen. Ein naher Abgabetermin. In ein paar Wochen werde ich im Urlaub sein. Dann lasse ich mich von Ö1 verwöhnen. Von James Joyce begeistern. Häppchenweise werde ich das Riesen-Hörspiel studieren.
  • Sonntag, 14. Juni 2015: Vor dem Schlafengehen hat noch alles funktioniert. Ö1 im Ausnahmezustand. Hinaus stürzt unser Herr Stephen mit einem Schrei, und Krehti und Plethi hinter ihm her, der ganze Verein, Draufgänger, Maulaffen, Wettschwindler, Pillendoktor, Bloom der Pünktliche ihnen auf den Fersen. In der Nachrichten-Unterbrechung kurz darauf, hatte ich die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mehrmals Dublin Drei sagen hören. Das Küchenradio läuft immer noch. Die Batterien im Diktiergerät haben hingegen irgendwann in der Nacht schlapp gemacht.
  • In Wien dann Erleichterung: Die Aufnahme mit meiner alten Stereo-Anlage hat geklappt. Trotz der geringen Speicherkapazität. Es fehlt nur diese eine Minute vor Mitternacht. Aber die sollte noch am Diktiergerät sein.

Sabine Morgenstern, Künstlerin

Das größte Abenteuer meines Lebens war es wohl mit 19 Jahren alleine aus der Steiermark nach Vorarlberg zu ziehen. Ich habe meine erste Zugfahrt noch klar vor Augen. Ein großer Koffer, mein Fahrrad und meine Schi waren meine Begleiter. Anfänglich von der schönen Landschaft sehr begeistert bin ich sehr bald den wahren Vorarlbergern begegnet. Ich habe mich mit 19 Jahren als eine sehr emanzipierte Frau betrachtet die ihren Weg als Frau sehr selbstständig weiter gehen will. Der eigentlich geplante Weg sollte nach Hamburg gehen; aber zu meiner Zeit war eine Ausbildung; bzw. Weiterbildung im Ausland mit geringen finanziellen Mitteln noch schwer möglich - leider.

Nun war ich in Österreich, fühlte mich aber fremder als im Ausland. Auch der Sprache wegen. Und als selbstständige Frau so gar nicht verstanden.
Beim Ersten Treffen mit einem Burschen wurde man beim zweiten Mal den Eltern vorgestellt. Und wenn ich mich in eine Bar gesetzt habe um ein Glaserl Wein zu trinken, wie in Graz gewohnt, kam ich mir vor als würden mich die männlichen Vorarlberger für käuflich halten.

Gut dass es die Schule gab, in der HTL Textil habe ich mich sehr wohl gefühlt. Das fremd sein und und sich als Außenseiter fühlen ist mir bis jetzt geblieben.
Was mich in diesem Teil Österreichs noch immer hält ist der Bodensee - Mein See. Das ökologische Bewusstsein Vorarlbergs gefällt mir nach wie vor.
Der Jazz begleitet mich seit meiner Heirat mit einem Jazzmusiker. Eine CD begleitet mich seit 30 Jahren, "Kind of Blue" von Miles Davis.

Eine große Werkgruppe meiner eigenen fotografischen Arbeit habe ich mit "Kind of Light"“ betitelt, weil für mich das Licht ein wesentlicher Faktor in der Fotografie ist.
Die Liebe zur Fotografie hat der amerikanische Fotograf Walker Evans in mir geweckt. Ich musste als Jugendliche schön brav sparen um mir Fotobücher kaufen zu können. Mittlerweile umfasst meine Bilbliothek an Kunst- und Fotobüchern einige Meter meines Wohnzimmers. Die Literatur habe ich relativ spät für mich entdeckt, seit meinem 30. Lebensjahr zählt diese jetzt intensiv zu meinem Leben wie das Hören von Ö1. Weil ich gerade "mein Leben" geschrieben habe, so fällt mir ein Buch ein welches mich sehr stark beeindruckt hat- "Anton Reiser" von Carl Philipp Moritz.

Roni Horn ist eine Künstlerin die ich seit 10 Jahren zu meinem großen Vorbild zähle. Es ist ihr dialektisches Denken; ihre Arbeiten die sinnlich erfahrbar und spürbar werden das mich so fasziniert. Als Bildhauer bleibt Brancusi für mich einer der stärksten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jhdts.

Als Künstlerin welche sehr stark mit der Fotografie verbunden ist, bin ich jetzt, nach 30 Jahren Arbeit mit dem Medium Fotografie an der "Bearbeitung meines Archivs" beschäftigt, Melancholie breitet sich aus. Die amerikanische Art des Fotografierens spiegelt meine eigene Art des fotografischen Denkens mehr als alles andere.
Nach einer beeindruckenden Reise nach New York wurde mir bewusst - das wäre meine Stadt. Und mit meinem Namen "Morgenstern" habe ich mich nie fremd gefühlt.
Fremd sein und anders sein und mit diesem Gefühl umzugehen wird mich wohl noch die weiteren 50 Jahre meines Lebens begleiten.
Ich lebe weiterhin am Bodensee und bin seit 8 Jahren mit einem Vorarlberger in einer Partnerschaft.

Das Thema „Resonanz“ ist zu meinem Lebensthema geworden. Zum Glück gibt es doch einige Resonanzbeziehungen in meinem Leben. Dazu gehört die Literatur, Musik, Radio (ausschließlich Ö1 und SRF2), gute Freunde und vor allem die bildende Kunst.

Christa Felber-Fuchs, Ö1 Über die Lebensspanne

Dieser Anlass 50 Jahre Ö1 ist auch für mich persönlich ein besonderes Jubiläum, weil auch ich dieses Jahr 50 werde und meine Ö1 Hörerschaft eigentlich schon mit meinem 13 Lebensjahr begonnen hat, also schon eine beträchtliche Zeit.

Nicht Zuhause sondern im Haushalt einer damaligen Freundin, wo die Mutter immer die samstägigen Hörspiele hörte. Genau mit diesen Hörspielen hat meine Ö1 Leidenschaft begonnen. So hab ich mir verschiedene Hörspiele auf Kassetten aufgenommen - ein längst veralteter Tonträger - und die besitze ich noch immer.
Viele ungeliebte Haushaltsarbeiten gehen viel leichter von der Hand wenn mir im Hintergrund eine Geschichte erzählt wird.

Ich arbeite im psychosozialen Bereich mit Kindern und hab mit Kindergruppen und auch im Einzelkontakt gemeinsam mit diesen, Hörspiele, natürlich ganz laienhaft, erfunden und aufgenommen. Es war immer ein ganz besonderes Erlebnis wenn sie ihre Geschichten und Stimmen hörten.

Mittlerweile höre ich nicht nur die Hörspiele sondern quer durch das ganze Programm. Bei einer Telefon Umfrage zu meinem Radioverhalten habe ich wohl den Interviewer etwas verunsichert - weil eigentlich höre ich nur Ö1 - darüber war ich dann selbst erstaunt, und nach genauer Überprüfung stellte ich fest das Küchenradio und auch im Auto ist der Sender immer auf die Frequenz von Ö1 eingestellt. So gesehen bin ich eine wirklich eingefleischte Ö1 Hörerin.