
Pfiffl Medien GmbH
"Eine fantastische Frau" von Sebastian Lelio
Morgenjournal, 5.10.2017
Arnold Schnötzinger
Am Anfang ist die Welt von Marina (Daniela Vega) und dem Textilunternehmer Orlando (Francisco Reyes) noch in Ordnung: ein gepflegtes Abendessen, eine Torte, ein Geburtstagsgeschenk, Aufmerksamkeit und Harmonie. Doch wenig später ist alles anders. Orlando stirbt noch in der gleichen Nacht an einer Gefäßerweiterung, Marina als Partnerin steht vor den Trümmern der Beziehung, vor allem jenen, die ihr nun Orlandos Familie in den Weg legt. Denn Marina ist eine Transgender-Frau, in ihrem Pass steht immer noch "Daniel", ein Faktum, das die Fassade der Bürgerlichkeit in Orlandos Familie empfindlich stören könnte.
"Liberalität und Humanität hinterfragen"
So beginnt ein Kampf um die Selbstbehauptung der eigenen Identität, um die Selbstbestimmung dessen, was man sein möchte und was man verteidigen muss vor jenen, die das nicht wahrhaben wollen: vor dem Arzt in der Klinik, der Marina misstraut, sie ist ja keine offizielle Angehörige; vor einer Polizistin, die eine Misshandlung mehr vermutet als ein krankheitsbedingtes Ableben. Schließlich vor Orlandos Sohn, der mit geradliniger Brutalität und offensiver Feindseligkeit Marinas Außenseiterstatus ausnutzt, um sie zu demütigen und schnell an das Erbe des Vaters heranzukommen.
Regisseur Sebastian Lelio: "Ich denke, mein Film versucht nicht in erster Linie die Transsexualität zu verteidigen. Vielmehr geht es mir darum, die Liberalität und Humanität von vermeintlich westlich geprägten Zivilisationen zu hinterfragen."
Ringen um Anerkennung
Regisseur Lelio forciert sein Grundthema und die gesellschaftspolitische Dimension dahinter: das Ringen von Minderheiten um Anerkennung. Aber er verlässt sich auch auf seine Hauptdarstellerin Daniela Vega, die auch ein reales Transgender-Leben führt. "Ich glaube, mein Film passt gut zum Zeitgeist", meint Lelio, "nicht nur in Chile, sondern auch in anderen Ländern. Letztlich fragt der Film danach, wer definiert, was und wie gelebt werden darf, also welche Liebe und welche nicht."
Heftiger Gegenwind
Wenn Marina in Santiago de Chile einen Wettersturm gerät, dann trotz sie mit ihrem ganzen Körper dem Gegenwind - eine Metapher, die ihre Offensichtlichkeit nicht scheut, aber zugleich auch Marinas Absichten zuspitzt: Man ist es der eigenen Würde schuldig, nicht umzufallen oder weggefegt zu werden.

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