Martin Scorsese

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Filmkolumne

Martin Scorsese und die Mafia

Am Freitag (17. November) feiert Martin Scorsese seinen 75. Geburtstag. Von Klassikern wie "Taxi Driver" oder "Raging Bull" bis hin zu "Departed" oder "Shutter Island" hat Scorsese über die letzten fünf Jahrzehnte wesentliche Kapitel der Filmgeschichte mitgeschrieben. Und was macht Martin Scorsese derzeit? Er dreht wieder einen Mafia-Film: "The Irishman".

Kulturjournal | 17 11 2017

Benno Feichter

105 Millionen Dollar

Scorsese hat für diesen Film, der 2018 erscheinen soll, und dessen Rechte sich der Streamingdienst Netflix bereits für satte 105 Millionen US-Dollar gesichert hat, alte Vertraute um sich geschart: Zum bereits neunten Mal, erstmals seit "Casino", spielt Robert De Niro die Hauptrolle in einem Scorsese-Film, Al Pacino ist bei "Irishman" mit dabei, ebenso wie Harvey Keitel und Joe Pesci. Der Geburtstag und die Dreharbeiten sind ein doppelter Anlass, um sich Scorseses Mafia-Trilogie, die 1973 mit "Mean Streets - Hexenkessel" begonnen hat, 1990 mit "Good Fellas" weitergeführt und schließlich 1995 mit "Casino" abgeschlossen wurde, noch einmal genauer anzuschauen.

Martin Scorsese

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Martin Scorsese, 1973

Das Gesetz der Straße

"Du zahlst für deine Sünden nicht in der Kirche, du zahlst auf der Straße, zu Hause." Die Eröffnungsszene von "Mean streets". Das Gesetz der Straße, vorausgeschickt vom Regisseur selbst, der in den darauf folgenden 112 Kinominuten jeden bestraft, der es missachtet.

Er habe in diesen drei Filmen versucht, einen neuen Zugang zum Genre zu finden, meinte Scorsese Jahre später in einer Dokumentation über "Good Fellas". Und wenn er von sich erzählt, von Klein Marty, der als Kind mit Asthma in der kleinen Wohnung in Little Italy oft wochenlang im Bett liegen musste und aus dem Fenster schaute, hinab auf die geparkten Autos und herumlungernden Mafiosi, dann könnte das auch eine Filmszene sein, die er da schildert. Für Klein Marty waren die Gangster ganz normale Leute.

Mythen bauen & Mafiaromantik entmythologisieren

Gangster wollte er nicht werden, eigentlich Priester, er landete jedoch bei seinem zweiten Traumberuf auf dem Regiesessel. Scorsese erzählte in seinen Filmen von den Straßen kommend, überhöhte das Mafiamärchen wie es Hollywood liebte, ohne sich aber von einem erbarmungslosen Realismus zu verabschieden, und entmythologisierte so die Gangstermythen, noch während er sie aufbaute.

In "Casino" sehen wir schon in der ersten Szene den Fall der Hauptfigur, bevor Scorsese zehn Jahre zurückspringt und damit beginnt, den Aufstieg von seiner Hauptfigur Ace im Korruptions-, Gewalt- und Glitzersumpf von Las Vegas zu erzählen. Und auch "Good Fellas" beginnt mit jenem Mord im Kofferraum, für den die von Joe Pesci gespielte Figur später wird bezahlen müssen.

Nicht die Gangster, sondern die Menschen dahinter

Eigentlich sei es nie in erster Linie um das Gangsterdasein gegangen, resümierte später Hauptdarsteller Harvey Keitel. Zwischen der Moral der Straße und der Moral der Religion ging es Scorsese um die Menschlichkeit der Charaktere. Und vor allem um die Arbeiterschicht, aus der er herauserzählte.

Die Realität, in der er groß geworden war: Der Traum vom schnellen Aufstieg außerhalb des Gesetzes, diese verführerische wie trügerische Kraft, die er erzählen und demaskieren wollte. Spätestens wenn der junge Spider in "Good Fellas" wie aus dem Nichts erschossen wird, zerfließt jegliche Mafia-Romantik in der Blutlacke auf dem Holzboden.

Improvisieren mit la Mamma

Und wenn die Geschichten im Alltäglichen wurzeln, die Realität erst vergrößert und dann wieder demaskiert wird, so holt Scorsese sein Publikum auch im Bild mit alltäglichen Routinen in Großaufnahmen ab. Der Schlüssel, der im Schlüsselloch umgedreht wird, die Krawatte, die genauso gebunden wird, wie es schon Scorseses Vater in Little Italy gemacht hatte. Apropos Vater. Der tritt in "Good Fellas" ebenso auf wie Scorseses Mutter. Die Szene am Esstisch, la Mamma mit den grauen Haaren. "Ihr Sohn macht einen Film und bringt seine Freunde zum Essen nach Hause", so habe es seine Mutter gesehen. Scorsese ließ die Kamera laufen und De Niro und Co mit la Mamma improvisieren.

So echt wie la Mamma waren am Set von "Good Fellas" auch die Geldscheine. Und weil die Männer mit echtem Geld hantieren durften, verlangte Lorraine Bracco auch nach echtem Schmuck für ihre Rolle der Karen Hill. Und sie bekam ihn.

Humor, Gewalt und Filmgeschichte

Kompromisslos auf allen Ebenen, verspielt und konsequent zugleich, erzählt Scorsese seine Mafia-Trilogie. Brachial in der Darstellung von Gewalt und so unvermittelt wie der Baseballschläger kommt dann oft auch der Humor in die Szenen, den Scorsese von gestenreich erzählenden Mafiosi an den Straßenecken seiner Kindheit aufgeschnappt hatte.

Aber nicht nur Scorseses Kindheitserinnerungen, sondern auch seine Liebe für die Geschichte des Kinos ist in diese Trilogie über Zitate eingeschrieben. Wenn etwa Joe Pesci Tommy DeVito am Ende von "Good Fellas" die Pistole auf die Kamera richtet, in das Publikum schießt, so ist das eine Hommage an "Den großen Eisenbahnraub" aus dem Jahr 1903.

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Seinen 75er feiert Scorsese wohl am Set von "The Irishman", mit seinen alten Verbündeten De Niro und Pesci, Pacino und Keitel. Mit diesen Schauspielern fühle sich das ohnehin nicht wie Arbeit, sondern eher wie eine Party an. In diesem Sinne, tanti auguri maestro.

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