Filmstill "Zwei Herren im Anzug"

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Film

Zwei Herren im Anzug

2011 hat der bayrische Schauspieler und Regisseur Josef Bierbichler seinen Roman "Mittelreich" veröffentlicht, eine bayrische Familienchronik im 20 Jahrhundert. Nun hat Bierbichler Auszüge seines Romans unter dem Titel "Zwei Herren im Anzug" verfilmt, wobei er weniger an Fakten als vielmehr an einer Mentalitätsgeschichte seiner Heimat interessiert ist.

Mittagsjournal | 04 04 2018

Arnold Schnötzinger

Kulturjournal | Interview

Josef Bierbichler über Heimat und Film

Ausgerechnet am Begräbnistag der Mutter eskaliert die Situation. Der Vater Pankraz (Josef Bierbichler), ein Gast- und Landwirt und sein Sohn Semi (Simon Donatz) geraten sich in die Haare. Es wird aufgewogen und abgerechnet, vor allem aber erinnert: an das Große und Ganze im Großen und Ganzen, die Lebensbilanz einer bayrischen Existenzform im 20 Jahrhundert. Viel hat er erlebt, der Pankraz, vom Ersten und Zweiten Weltkrieg über das Wirtschaftswunder bis hinein in die 1980er Jahre spannt Regisseur und Autor Josef Bierbichler den Bogen dieser fiktiven Biografie, zwischen Weltgeschichte und Lebensbeichte.

Stammtisch und Wirtshausgepolter

Stets hatten die großen, politischen und gesellschaftlichen Ereignisse ihre Auswirkungen auf den Alltag der sogenannten kleinen Leute. Regisseur Josef Bierbichler: "Ich kenne mich in diesem Milieu sehr gut aus, daher musste ich da nicht viel recherchieren. Für die Zeit vor meiner Geburt, also etwa die Ereignisse von 1914 hab ich mich auf das verlassen, was ich noch vom Schulunterricht im Kopf hatte. Und freilich ist auch jede Menge Fantasie dabei." Und die rückt mit großen Kalibern an: unabdingbarer Kameradschaftsgeist nach dem Motto "jeder Schuss ein Russ", Disziplin und Ordnung, Stammtisch und Wirtshausgepolter, das Leiden am Katholizismus, zerplatzte Lebensträume, unverhohlener Antisemitismus, das Verdrängen des Kriegs und ein Faschingsball mit einer Frau im Hitlerkostüm.

Deftige Bilder

Beharrlich grundiert der Film die Zeitläufte mit ländlicher Bodenständigkeit, spürt Lebensgefühlen nach, ob bei einer Sauschlachtung oder der Bewunderung eines neuen Traktors in den 1950ern. Dem Alltag entlang sucht Regisseur Bierbichler deftige Bilder, sprachlich ausschmückt mit Dialekt und Hochdeutsch, er nimmt Anleihen bei der Oper, - vor allem Wagner - und zieht sich dann wieder in reinste Theateranmutung zurück. Eine recht krude Mischung als Erzählkonzept, das sich Josef Bierbichler auch selbst nicht ganz erklären kann: "Ich hab einfach begonnen und dann entwickelt es sich nach und nach selbst. So entstehen Sachen, von denen ich selbst im Nachhinein nicht weiß, wie sie entstanden sind."

Geister der Geschichte

An Effekt und Wuchtigkeit fehlt es dieser Erzählform dennoch nicht. Die titelgebenden zwei Herren im Anzug begleiten den Film an der Seitenlinie, unscheinbar, wie Geister der Geschichte, die man rief und die man bis heute nicht losgeworden ist. Oder wie es der Pankraz sagt: "Ich war zwar nie ein Nazi, doch kein Nazi war ich nie."

Gestaltung

  • Arnold Schnötzinger