Raphaela Edelbauer

RAPHAELA EDELBAUER

Skeptisch erfreut

Rauriser Literaturpreis an Raphaela Edelbauer

Unter dem Motto "Frühe. Jahre" geben bei den Rauriser Literaturtagen Paulus Hochgatterer, Monika Helfer, Karin Peschka und Peter Henisch Einblicke in ihre Texte und Schreibprozesse. Bei der Eröffnung werden die jährlichen Rauriser Literaturpreise vergeben.

Kulturjournal | 03 04 2018

Judith Hoffmann

Den mit 4.000 Euro dotierten Förderungspreis erhält Florian Gantner, der mit 8.000 Euro dotierte Hauptpreis geht an Raphaela Edelbauer für ihr Prosadebüt "Entdecker. Eine Poetik", das im Vorjahr erschienen ist. Ein Porträt der 1990 geborenen Preisträgerin.

Skeptisch erfreut

Seit 1972 prämiert eine wechselnde dreiköpfige Jury die beste deutschsprachige Prosa-Erstveröffentlichung des Jahres mit dem Rauriser Literaturpreis. Und nicht selten markiert die Auszeichnung den Beginn einer großen literarischen Karriere, wie im Fall von Michael Köhlmeier oder Franz Innerhofer, der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller oder der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe.

Die diesjährige Hauptpreisträgerin Raphaela Edelbauer gibt sich betont zurückhaltend: "Ja, es ist eine unglaubliche Ehre, diesen Preis zu erhalten, auch wenn man sich durchliest, wer ihn vorher bekommen hat. Aber ich weiß, dass Zeiten kommen werden, in denen kein so positives Echo kommt. Da ist es gut, dass ich auch dieses Gerüst an literarischen Werten habe."

Wenn die Welt nach der Pfeife der Sprache tanzte

Genau diese Werte macht sie auch zur Grundlage ihres Prosadebüts. "Entdecker - Eine Poetik" heißt das knapp 170 Seiten umfassende und von Simon Goritschnig illustrierte Werk. In sechs Kapiteln geht die Autorin darin dem Gedankenspiel nach, wie die Welt durch Sprache konstituiert sein könnte. Und zwar ausgehend von einer gewagten Maxime: "Sprache ist ursächlich für die Welt verantwortlich, nicht nur wie wir sie sehen, sondern auch, wie sie sich physikalisch konstituiert", so Edelbauer.

Was geschähe also, wenn sich Texte wie Bakterien oder Mikororganismen verhielten, die in unserem Körper hausen? Was, wenn die Gesetze der Physik sich verhielten wie Sprache? Anhand von sechs kurzen Texten in Form von Experimenten erprobt sie diese Annahme und vermisst so die Welt gewissermaßen neu.

Literatur als Versuchsanordnung

Vorangestellt wird dieser "fantastischen Poetik" ein eindringliches Vorwort unter dem Titel "Gebrauchsanweisung" und mit dem Hinweis: "Meine Intention dabei lautet, Ihre Sprachzentren zu bombardieren wie die Mauern von Jericho; ergo unter Trompetenstößen den Hypothalamus hinwegfegend derartige Silben-Salven von mir zu geben, dass das Broca Areal von innen an Ihrer Schädeldecke kleben bleibt."

Warum gerade die Naturwissenschaft als Experimentierfeld? "Weil Naturwissenschaft das vermeintlich Faktische ist, an dem wir nicht zweifeln und das wir nicht hinterfragen. Zu zeigen, dass es trotzdem relativ ist und auf Sprache beruht, hat mich sehr interessiert", sagt die 28-jährige Autorin, die an der Wiener Universität für Angewandte Kunst Sprachkunst studierte.

Eine fantastische Poetik und Sprachphilosophie

Ihre Vorbilder und Einflüsse reichen von Ludwig Wittgenstein über die Wiener Gruppe bis zur Gothic Novel, ihre Liebe zur Sprache und Literatur geht immer schon einher mit einer großen Vorliebe für Sprachphilosophie. Auf solchen sprachphilosophischen Pfaden wandelt Edelbauer auch im Debüt "Entdecker", ohne dabei allerdings in ein reines Sprachexperiment zu zerfallen. Zusammengehalten wird das kleinteilige Buch, neben den Schwarz-Weiß-Illustrationen, von einer erzählerischen Grundhaltung.

heißt es da zum Beispiel in einem Kapitel, und in einem anderen, übertitelt mit "Anatomie", lässt Edelbauer eine Journalistin als Ich-Erzählerin im Jahr 2025 die Eröffnung des sogenannten "Absurdiums" besuchen, eines überdimensionalen Bauwerks an der Ringstraße, das dem vegetativen Nervensystem seiner Bauherrin nachempfunden ist.

Das "ungewöhnlichste und gewitzteste Debüt des Jahres"

Als das "ungewöhnlichste und gewitzteste deutschsprachige Debüt des Jahres" lobte die Jury den Siegertext, der 2017 im Klever Verlag erschien. Dem ständig kreisenden Karussell Literaturbetrieb steht die wortgewandte, impulsive Schriftstellerin mit der ihr eigenen, vorsichtigen Skepsis gegenüber. "Für mich ist es ein sehr unangenehmer Gedanke, dass man immer nur für eine Saison, also fürs Frühjahrs- oder Herbstprogramm schreibt. Ich finde, wir haben ein bisschen verlernt, für sehr lange Zeitspannen zu schreiben. Für mich ist sicher auch ein Ziel: Wie relevant ist das in 100 Jahren? Das klingt größenwahnsinnig, weil diese Frage nicht mehr üblich ist. Aber für mich ist das wichtig."

Mit einem solchen Zeithorizont vor Augen arbeitet Edelbauer derzeit an ihrem nächsten Roman "Das flüssige Land", der sich um Erinnerung und kollektives Gedächtnis, vor allem im Nationalsozialismus dreht. Und was die langfristige Bedeutung ihres Schreibens anbelangt, könnte der Rauriser Literaturpreis durchaus als Wegweiser verstanden werden.

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