Heinrich Steinfest

DPA/MARIJAN MURAT

Ein dickes Fell

Heinrich Steinfest über den Krimi und das Hörspiel

Was ist das eigentlich, ein Kriminalroman? Nun, eben kein Krimi, sonst würde er ja nicht Roman heißen. Und Roman bedeutet nun mal, das Ganze im Blick zu haben, die Welt, das Leben, das Kleine im Großen, den Mond, die Finsternis, die Kunst, die Liebe, natürlich auch das Verbrechen, das eine Zuspitzung des Lebens darstellt. Aber der Roman lässt sich nicht auf den "Fall" reduzieren, sondern berücksichtigt sämtliche Fälle, die der Fall sind.

Was ist das eigentlich, ein Kriminalroman? Nun, eben kein Krimi, sonst würde er ja nicht Roman heißen. Und Roman bedeutet nun mal, das Ganze im Blick zu haben, die Welt, das Leben, das Kleine im Großen, den Mond, die Finsternis, die Kunst, die Liebe, natürlich auch das Verbrechen, das eine Zuspitzung des Lebens darstellt. Aber der Roman lässt sich nicht auf den "Fall" reduzieren, sondern berücksichtigt sämtliche Fälle, die der Fall sind.

Teil 1: Einführung in das Töten

Wenn ein Hund namens Lauscher eine Rolle spielt, dann nicht, weil er ein Kommissar-Rex-Ersatz ist und irgendwie bellend und mit dem Schwanz wedelnd den Fall löst, sondern weil er als Begleiter des Detektivs Cheng dessen Würde unterstreicht. Selbst dann, wenn Cheng seinen Hund in einem Wirtshaus vergisst. Mit der Würde verhält es sich ebenso wie mit der Moral: Man muss sie nicht ständig vor sich herführen, um sie zu besitzen. Hunde sind überdies tendenziell Engel.

Auch bedeutet Roman, dass nicht nur eine Killerin und ihre Taten und die Auswirkungen ihrer Taten beschrieben werden, sondern auch die Bedingungen, unter denen diese geschehen. Wie es sich verbinden lässt, Mutter eines behinderten Kindes zu sein und diesem speziellen - aber eben nicht aus den Wolken gefallenen - Beruf einer Auftragsmörderin nachzugehen. Die Mutterschaft der Killerin hat Auswirkung auf jegliches Handeln.

Hörspiel - eine aus dem Spielerischen bezogene Verdeutlichung eines Textes

Max Frisch hat über den Humor so schön gesagt, dass Selbstbewusstsein allein nicht komisch sei und das Stolpern allein ebenso wenig komisch sei, beides zusammen aber schon. Ich würde gern anfügen, dass ein Verbrechen allein nicht unheimlich ist, dass der bürgerliche Alltag mit seiner Moral und seinen Regeln allein auch nicht unheimlich ist, beides zusammen aber schon.

Teil 2: Lauter Tote

Erwin Steinhauer greift sich auf die Brille

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Was ist eigentlich ein Hörspiel? Nun, eben kein Hörbuch, das man vorgelesen bekommt, sondern ein Spiel. Eine aus dem Spielerischen bezogene Verdeutlichung eines Textes. Nicht so radikal und einschränkend wie der Film, der uns praktisch zeigt, was wir sehen sollen. Und doch stellen die im Hörspiel vorhandenen Stimmen und Geräusche natürlich eine Interpretation dar. Sie helfen dem Hörer und der Hörerin, die Geschichte in einer bestimmten Färbung wahrzunehmen. Die Stimmen wirbeln in unseren Gehörgängen und provozieren Bilder, die wir mithilfe dieser Stimmen selbst kreieren.

Das Schönste, was man von einem Hörspiel sagen kann, ist, dass es aus einer guten Geschichte eine bessere macht. Weil es die Hörenden zu reizen versteht.

Was ist eigentlich ein dickes Fell? Ein Schutz, im natürlichen wie im übertragenen Sinn. Eine dichte, feste Matte gegen all das Unbill, das entweder die Natur oder die Gesellschaft allen Kreaturen bereitet. Man kann vielleicht sagen, dass die Literatur selbst ein dickes Fell ist. Beziehungsweise die Leser/innen oder Hörer/innen mit einem solchen ausstattet. Wir wären ohne die Literatur alle sehr viel dünnhäutiger und sehr viel weniger gegen die geistigen Unwetter gewappnet. Man stelle sich all die Dinge von der Geburt bis zum Tod vor, von den unsicheren Freuden der Jugend bis zum sicheren Grauen des Alters, ohne die Möglichkeit, sie mittels der Literatur beschrieben bekommen zu haben. Es wäre wie eine Speisekarte, auf der nur die Preise stehen.

Teil 3: Die Gude-Story

Ein Fell, das im vorliegenden Fall in Wien beginnt und endet. Zusammen mit dem Mond, der sich boshafterweise im August 1999 vor die Sonne schiebt und dabei Wien schmählich vernachlässigt: "Natürlich war niemand so kindisch, dem lieben Gott wegen der Konstellation der Gestirne einen Vorwurf machen zu wollen, was sich aber sehr wohl ergab, war eine tiefe Aversion gegen den Mond. Einen Mond, der zwar abstruse Orte wie Stuttgart und Bad Ischl mit einer lückenlosen Totalität versah, dem Weltzentrum Wien jedoch die Schmach eines nachlässigen Anstrichs antat. Eines Anstrichs, der gerade wegen seiner Neunundneunzigprozentigkeit als purer Hohn begriffen wurde. Als werde man von jemandem geküsst, aber bloß auf die Wange, während dieselbe hübsche Person jemand anderem die ganze Zunge in den Mund schiebt. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das Verhältnis der Wiener zum Mond aus diesem Grund einen negativen Beigeschmack erfuhr, der sich nie wieder ganz verflüchtigen sollte."

Text: Heinrich Steinfest, Schriftsteller und bildender Künstler