Der Leopoldstädter Tempel ist 2013, anlässlich des Gedenkens an das Novemberpogrom vor 75 Jahren, rekonstruiert worden.

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1938

Synagoge Tempelgasse, Wien

Am 10. November 1938 wurde in den Novemberpogromen die große Synagoge im zweiten Wiener Gemeindebezirk, der sogenannte Leopoldstädter Tempel, fast völlig zerstört. Vom Schauplatz berichtete noch in der Nacht ein Reporter für den "Reichssender Wien": "Die erbitterten arischen Einwohner dieses Bezirkes haben es sich nicht nehmen lassen, ihren abgrundtiefen Hass gegen das Judentum zu bezeigen... Der Judentempel war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen… Leute stehen nicht mehr auf der Straße, und wir werden auch gleich verschwinden. Also ich glaube, der Tempel kann ohne weiteres einstürzen, wir haben alle nichts dagegen."

Am Ort des Leopoldstädter Tempels

Brigitte Voykowitsch

Eine der 25 "Sternstelen" des Künstlers Lukas Kaufmann, die in Wien - im Rahmes des Gedenkens an das Novemberprogrom - an zerstörte Synagogen erinnern sollen.

Eine der 25 "Sternstelen" des Künstlers Lukas Kaufmann, die in Wien - im Rahmen des Gedenkens an das Novemberprogrom - aufgestellt wurden und an zerstörte Synagogen erinnern sollen.

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Heute steht ein modernes Gebäude an der Stelle des einstigen Tempels. Darin befindet sich das Psychosoziale Zentrum ESRA, das Opfer des Holocaust und ihre Angehörige unterstützt. Vor dem Gebäude wurde vom Architekten Martin Kohlbauer ein Mahnmal in Form von vier weißen Säulen errichtet.

Rote Streifen am Boden markieren den einstigen Grundriss des Tempels, der mit knapp 4.000 Sitz-und Stehplätzen einer der größten – und auch der prächtigsten - der damaligen Zeit gewesen war. Nur die Synagogen in Budapest und in New York waren größer.

  • Der Leopoldstädter Tempel ist 2013, anlässlich des Gedenkens an das Novemberpogrom vor 75 Jahren, rekonstruiert worden.

    Der Leopoldstädter Tempel ist 2013, anlässlich des Gedenkens an das Novemberpogrom, rekonstruiert worden.

    APA/HERBERT PFARRHOFER

  • Schild an Zaun montiert

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  • Eingang der Synagoge

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  • Eingangsbereich, Blick in die Gasse

    ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

  • Bodenmarkierungen

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  • Tempelgasse

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Gebaut wurde der Tempel mit kaiserlicher Bewilligung zwischen 1854 und 1858 von dem renommierten Architekten Ludwig von Förster. Die Errichtung von Synagogen war damals gerade erst wieder möglich geworden. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit hatten die Juden dieses Recht genossen, nach der zweiten Vertreibung von 1669/70 verloren die in der kaiserlichen Residenzstadt "tolerierten" Juden jedoch dieses Recht. Das Toleranzpatent von 1782, das Joseph II. im Zuge weitreichender Reformen erließ, brachte gewisse rechtliche Verbesserungen für die Juden. Doch erst nach der Märzrevolution von 1848 konnte sich 1852 die Israelitische Kultusgemeinde Wien etablieren. Weitere 15 Jahre sollte es dauern, bis mit dem Staatsgrundgesetz vom Dezember 1867 der jüdischen Bevölkerung in Österreich die rechtliche Gleichstellung und Religionsfreiheit gewährt wurde.

Ansicht des Tors der Synagoge in der Tempelgasse

ÖNB

Ansicht des Tors der Synagoge in der Tempelgasse, um 1910.

Vor diesem Hintergrund wurde Mitte der 1820er Jahre der Stadttempel in der Seitenstettengasse gebaut – im Hinterhof und damit von außen nicht sichtbar. Außen ist er durch eine "normale", sich ins Straßenbild einfügende Fassade verdeckt. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 war er die einzige Einrichtung von mehr als 130 Wiener Synagogen und Bethäusern, die der Zerstörung entging. Experten wie der Architekt Herbert Peter gehen davon aus, dass die enge Verbauung, sowie die Tatsache, dass sich in unmittelbarere Nähe SS-Büros befunden haben sollen, den Stadttempel vor der Zerstörung bewahrten.

Hofansicht nach dem Brand, 1917

ÖNB

Hofansicht nach dem Brand, 1917

Für den Leopoldstädter Tempel hatte man 1854 größere Pläne, allerdings war man durch die Beengtheit des Ortes – der heutigen Tempelgasse im Zweiten Wiener Gemeindebezirk – stark eingeschränkt. Der Architekt Ludwig Förster fand eine äußerst kreative Lösung, indem er durch die räumliche Gestaltung einen Platz schuf, wo keiner vorhanden war, und so einen frei stehenden Tempel errichten konnte.

Er unterteilte das verfügbare Grundstück: In der Mitte sollte sich der Tempel befinden, darum herum ein U-förmiger Hof verlaufen und das Areal rechts und links von schmalen Seitentrakten abgeschlossen werden. Die heutige Tempelgasse nutzte von Förster als eine Art Vorplatz mit.

Architektonisch war der Bau von dem Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien vorherrschenden Historismus und der Vorliebe für orientalische Ornamente geprägt. Der Wiener Architekt Herbert Peter verweist auf den Briten Owen Jones, der 1859 ein Buch über Ornamente aus allen Epochen und Weltregionen publizierte. Darin befand sich auch ein reicher Fundus aus arabischen, orientalischen und maurischen Stilelementen, aus dem die damaligen Architekten schöpfen konnten.

Der nördliche Seitentrakt überlebte die sogenannte "Reichskristallnacht". Hier befinden sich heute wieder einige jüdische Einrichtungen.

Service

Bob Martens, Herbert Peter "Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Stadtspaziergänge", Mandelbaum Verlag, Wien 2009

Pierre Genée "Wiener Synagogen 1825–1938", Löcker Verlag, Wien 1987

Ludwig Förster im Architektenlexikon
Audioguide "Hörspuren" zum November 1938
Der Leopoldstädter Tempel in David – Jüdische Kulturzeitschrift
Synagogen und Bethäuser der IKG Wien
Psychosoziales Zentrum ESRA

Gestaltung

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