Fernsehstudio

ORF/GÜNTHER PICHLKOSTNER

Öffentlich-Rechtliche unter Druck

Die No-Billag-Initiative in der Schweiz, die Abschaffung der Rundfunkgebühren in Dänemark und Spardruck bei der BBC - öffentlich-rechtliche Sendeanstalten stehen in vielen Ländern Europas derzeit unter Druck.

Die Debatte um die Rundfunkgebühren sei die größte Chance gewesen, die die SRG, die Schweizer öffentlich-rechtliche Anstalt je hatte, meint Ladina Heimgartner, stellvertretende SRG-Generaldirektorin im Interview mit matrix, mit dem Nachsatz: "Das kann man natürlich jetzt nach der Abstimmung so locker sagen, nachdem sich die Schweizerinnen und Schweizer klar zum Öffentlich-Rechtlichen bekannt haben."

Journalisten verfolgen die Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsegebuehren - No Billag" im Fernsehstudio der SRG in Leutschenbach

APA/KEYSTONE/ENNIO LEANZA

72 Prozent stimmten gegen die Abschaffung der Billag, der Rundfunkgebühren. Für Ladina Heimgartner ging es um Sein oder Nichtsein des Öffentlich-Rechtlichen, sie beschreibt die Debatte als sehr intensiv: "Man konnte auf die Straße gehen und mit jedem über hochkomplexe Medienthemen sprechen. So hat sich viel Wissen in der Bevölkerung breit gemacht und die Sensibilität für öffentlich-rechtlichen Rundfunk war noch nie so hoch wie jetzt."

"Wir öffentlich-rechtliche Sender müssen dort sein, wo die Menschen sind. Und die sind auch im Internet."

Diskussionen über Gebühren und die Legitimation von öffentlich-rechtlichen Medien gibt es regelmäßig, meint Lorenz Lorenz-Mayer. Der ehemalige Spiegel- und Zeit Online-Journalist lehrt seit 2004 an der Hochschule Darmstadt Online-Journalismus. Für Lorenz-Mayer hat sich die Debatte in den letzten Monaten jedoch verschärft, unter anderem durch die aktuelle Welle von Rechtspopulismus in Europa: " Zum Beispiel in Deutschland, die AfD ist im Bundestag und hat sich auf den Öffentlich-Rechtlichen eingeschossen. Aber auch der Druck bei den europäischen Nachbarn, die Kürzungen bei den Dänen und die Einschränkungen der Pressefreiheit in Ungarn und Polen führen zu einem sehr emotionalen Diskussionsklima."

Auch das Umfeld, in dem Medienhäuser heute Inhalte produzieren, habe sich in den letzten Jahren massiv verändert, das würden auch die Öffentlich-Rechtlichen stark spüren, so Ladina Heimgartner von der SRG.

"Öffentlich-Rechtliche könnten Eigenproduktionen für die Wikipedia bereitstellen."

Die Öffentlich-Rechtlichen stehen jetzt vor der Herausforderung, mediale Öffentlichkeit über digitale Plattformen herzustellen, und sie kämpfen noch damit, findet Leonhard Dobusch, Professor für Organisation an der Universität Innsbruck: "Einerseits durch rechtliche Schranken im Internet. Andererseits denken Anstalten noch sehr linear und das erschwert ihnen auf digitalen Plattformen mit Inhalten zu bestehen."

Leonhard Dobusch sitzt auch im ZDF-Fernsehrat, dort ist er für den Bereich Internet zuständig. Der Jurist wünscht sich mehr digitale Experimente der Öffentlich-Rechtlichen, etwa eine formale Öffnung im Netz. ARD und ZDF könnten zum Beispiel Teile ihrer Inhalte für die gemeinnützige Plattform Wikipedia bereitstellen: "Wikipedia ist ein wichtiger Traffic-Bringer, viele Fußnoten verweisen beispielsweise auf öffentlich-rechtliche Podcasts. Wikipedia wäre eine Chance für öffentlich-rechtliche Inhalte. Man müsste zumindest Eigenproduktionen ohne Agenturmaterial so lizensieren, dass sie in die Wikipedia eingestellt werden können."

"Man wird immer wieder Schnittstellen brauchen, die zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und der Zivilgesellschaft vermitteln."

Müssen Öffentlich-Rechtliche mehr mit Sehern, Hörerinnen und Nutzerinnen kommunizieren? Lorenz Lorenz-Mayer ortet einen Vertrauensverlust in öffentlich-rechtliche Medien im populistischen Umfeld. Gleichzeitig gebe es auch Umfragen, die zeigen, dass das Vertrauen in Öffentlich-Rechtliche ungebrochen, wenn nicht sogar gewachsen sei, so Lorenz Lorenz-Mayer, der hier von einer Medienkonfusion spricht: "Es gibt weniger einen gesamtgesellschaftlichen Vertrauensverlust, sondern Milieus, in denen das Vertrauen implodiert ist. Medien werden als Elitemedien wahrgenommen, die Bereiche ausschließen. Ich glaube, es geht eher darum, das Vertrauen auf der Beziehungsebene wieder herzustellen."

Die Beziehungsebene will Lorenz-Mayer stärken, indem etwa mehr über den Auftrag, das öffentlich-rechtliche Gut, den Public Value gesprochen wird. Für eine Debatte in Deutschland hat Lorenz-Mayer die Webseite Unsere Medien Vorbild dafür ist die britische Plattform Our Beeb, auf der Meinungen und Beiträge gesammelt werden, wenn die BBC-Charter neu verhandelt wird: "Die Idee der Plattform ist, Sympathisanten mit kritischer Perspektive zu versammeln, die Einfluss auf die Diskussion rund um Öffentlich-Rechtliche nehmen. Jedes Land hat da seine eigene Form, Österreich hat da etwa den ORF-Public Value-Bericht. Man wird immer wieder Schnittstellen brauchen, die zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und der Zivilgesellschaft vermitteln, damit das nicht nur zwischen den Sendern und der Politik ausgehandelt wird."

Text: Julia Gindl, oe1.ORF.at