Ägyptischer Muslime

AP/BEN CURTIS

Nebenan Ägypten

Die Zeit danach

Was wurde aus der Revolution in Ägypten, und wie geht es weiter?

Ägypten im Jänner 2011. Erstmals in der jüngeren Geschichte des Landes erhebt sich das Volk gegen den seit 1981 mit harter Hand regierenden Langzeitherrscher Husni Mubarak. Der "Tag der nationalen Polizei" am 25. Jänner wird zu einem "Tag des Zorns", an dem das Volk auf den Plätzen und Straßen des Landes seine Menschenwürde zurückfordert.

Demonstration in Kairo, 2011

Demonstration in Kairo, 25. Jänner 2011

AFP/MOHAMMED ABED

Millionen Ägypter/innen marschieren zusammen und fordern ein Ende von Korruption, Amtsmissbrauch und polizeilicher Willkür. Sie wollen endlich in einem Land leben, das nicht der Regierung und dem Militär gehört, sondern dem Volk selbst. Sie wollen ihr Land selbst in die Hand nehmen. Sie entdecken ihren gemeinsamen Willen und ein neues, kollektives Bewusstsein. Die Welt schaut gebannt auf das mit fast 100 Millionen Einwohner/innen bevölkerungsreichste Land am Nil. Wird es den Wandel hin zu einem demokratischen Land schaffen, in dem die Menschenwürde aller in Zukunft geachtet wird?

Wahlsieg der Islamisten

Mindestens 846 Menschen sterben in diesen 17 Tagen durch Polizeigewalt für die Revolution, bis am 11. Februar Mubarak zur Abdankung gezwungen wird. Es folgt ein Jahr, das durch nie gekannte Freiheiten, aber auch durch große Unsicherheit gekennzeichnet ist. Im März 2012 findet ein Verfassungsreferendum statt, im Zuge dessen die neue Verfassung von 77 Prozent der Wählerinnen und Wähler angenommen wird. Das islamische Recht, die Scharia, wird als Hauptquelle der landesweiten Rechtsprechung festgeschrieben. Danach gewinnen die islamistischen Parteien die Wahl zur Volksversammlung mit etwa 70 Prozent. Bei den nachfolgenden Präsidentschaftswahlen gewinnt Mohammed Mursi, Führer der Muslimbruderschaft, mit 51,7 Prozent der Stimmen.

Ende November 2012 geht das Volk wieder zu Hunderttausenden auf den legendären Tahrir-Platz im Zentrum Kairos. Auslöser dafür sind die von Präsident Mursi ausgeweiteten Machtbefugnisse, mit denen er die Kontrolle der Justiz über von ihm verfügte Dekrete stark einschränken will.

Jubelnde Menschen auf dem Tahrir-Platz, 3. Juli 2013

Jubelnde Menschen auf dem Tahrir-Platz, 3. Juli 2013

AFP/KHALED DESOUKI

Das Militär übernimmt die Macht

Die Massenproteste halten im Frühsommer weiter an, bis der Oberste Militärrat unter General Abd al-Fattah as-Sisi am 3. Juli 2013 gegen die gewählte Regierung putscht und die per Volksabstimmung bestätigte Verfassung außer Kraft setzt. Mursi wird gestürzt und später verhaftet. Am 5. Juli 2013 und am 14. August verüben die Sicherheitskräfte bis dahin nicht gekannte Massaker unter den demonstrierenden Mursi-Anhänger/innen, um den zahlreichen Straßenblockaden ein Ende zu bereiten. Die Zahl der Todesopfer unter den Zivilisten wird seit Beginn des Militärputsches auf insgesamt 2.500 Menschen geschätzt.

Im März 2014 bewirbt sich Sisi öffentlich um das ägyptische Präsidentenamt und tritt von seinen Ämtern als Armeechef sowie Verteidigungsminister und Vize-Ministerpräsident zurück. Bei den Präsidentschaftswahlen, an denen 46 Prozent der Bevölkerung teilnehmen, wird er mit 97 Prozent der Stimmen zum neuen ägyptischen Präsidenten gewählt. Die allgemeine unsichere Lage des Landes, fast tägliche Stromausfälle, Misswirtschaft und der massive Einbruch bei den für Ägypten wichtigen Tourismuszahlen, lassen Sisi zunächst als Retter der Nation erscheinen. Mit Sisi, hoffen viele, werde es mit Ägypten wieder bergauf gehen.

Dies ist auch bei seiner Wiederwahl im März 2018 noch so, wenn auch in bereits abgeschwächter Form, zumal bei diesen Wahlen kein ernst zu nehmender Gegenkandidat zugelassen wird. Präsident Sisi gilt einerseits als gläubiger Muslim, aber zugleich ist der frühere arabisch-nationalistisch-säkulare Präsident Gamal Abdel Nasser sein Vorbild.

Suez-Kanal

AFP/MOHAMED EL-SHAHED

Umstrittene Megaprojekte

Während seiner Präsidentschaft kündigt Sisi zahlreiche Megaprojekte an, die das Land aus der wirtschaftlichen Krise bringen sollen. Eines – die Erweiterung des Suezkanals um eine weitere Fahrtrinne – wird mithilfe des in Ägypten allmächtigen Militärs binnen eines Jahres erfolgreich umgesetzt. Ökonomische Expert/innen bezweifeln allerdings, dass der wirtschaftliche Nutzen des Projekts die dafür nötigen, gigantischen finanziellen Investitionen je aufwiegen kann.

Auch der Bau einer neuen Hauptstadt östlich von Kairo für die Regierungsinstitutionen und Beamten, die Konstruktion zahlreicher Satellitenstädte in der Wüste für die Mittelklasse und neuer Autobahnen lassen zweifeln, ob damit die wahren Bedürfnisse der ägyptischen Massen befriedigt werden. Diese brauchen vor allem Investitionen im Bildungsbereich – mehr als 50 Prozent der Ägypter und Ägypterinnen sind nach wie vor Analphabeten –, ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem sowie eine Eindämmung der Preissteigerungen bzw. der Inflation. Bei der menschlichen Entwicklung belegt Ägypten Platz 111 von 188 Ländern.

Polizeigewalt und Folter

Was die Freiheitsrechte betrifft, kommt es unter Sisis Regentschaft nicht zu den erwarteten demokratischen und liberalen Entwicklungen des Landes. Seine ersten Gesetze richten sich gegen die politisch aktive Zivilgesellschaft. Beispielsweise lässt Sisi das Strafrecht verschärfen, wonach es für einheimische und ausländische Nichtregierungsorganisationen künftig Pflicht ist, sich registrieren und damit kontrollieren zu lassen. Zudem wird es strafbar, Geld aus dem Ausland zu erhalten, sofern damit die Interessen des ägyptischen Staates verletzt würden.

Die politische Arbeit der Oppositionsparteien wird immer wieder behindert. Es häufen sich die dokumentierten Fälle, bei denen kritische Oppositionspolitiker, Journalisten, Herausgeber und Kulturschaffende mit fadenscheinigen Argumenten einer Militärgerichtsbarkeit unterstellt und mit hohen Strafen belegt werden. Polizeigewalt und Folter sind entgegen den Forderungen der Revolutionsaktivist/innen keineswegs verschwunden, sondern weit verbreitet.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von derzeit 60.000 Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert sind – und zurzeit befinden sich 16 neue Gefängnisse im Bau. Im internationalen Demokratie-Index rangiert Ägypten weit hinten, auf Platz 130 von 167 untersuchten Staaten.

Touristische Parallelwelt

Wer im Jahr 2018 in Ägypten an das Rote Meer oder ins Niltal fährt, wird ein gänzlich anderes Ägypten erleben als etwa in Kairo, dem Nildelta oder in Alexandria. Nach sieben Jahren Flaute bei den Nächtigungszahlen europäischer Gäste scheint es mit dem Tourismus langsam wieder aufwärts zu gehen. In Hurghada, Safaga oder Marsa Alam an der Westküste des Roten Meeres ist von der politischen Repression im Land nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die meisten Besucher/innen sind überrascht von der guten Sicherheitslage, dem gebotenen Service, dem für europäische Reisende sehr vorteilhaften Preis-Leistungs-Verhältnis und vor allem von der herzlichen Freundlichkeit der Ägypter. Man kann das herrliche Wüstenklima genießen, schwimmen, schnorcheln, tauchen und (kite)surfen.

Das kann man, und darf man auch, zumindest insofern es den Menschen vor Ort hilft, ökonomisch einigermaßen über die Runden zu kommen. Allerdings sollte man sich auch bewusst sein, dass man dabei nur einen sehr beschränkten Einblick in die tatsächliche Situation dieses historisch so bedeutsamen Landes am Nil bekommt, eines Landes, in dem das Volk zunehmend um Atem ringt.

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