Frau hält Buch in der Hand

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Hollywood 1921: Hardy Engels erster Fall

Im Debütroman von Christof Weigold gerät ein Stummfilmstar unter Mordverdacht.

Christof Weigold, der u.a. Autor bei der "Harald Schmidt Show" war und als Drehbuchautor arbeitet, hat sich für seinen Krimi "Der Mann, der nicht mitspielt" von einem historischen Kriminalfall inspirieren lassen: den bis heute nicht aufgeklärten Mord an dem Starlett Virgina Rappe.

Dieses Verbrechen sorgte 1921 in Hollywood für einen großen Skandal, denn als Mörder beschuldigt und vor Gericht gestellt wurde kein geringerer als der zu jener Zeit erfolgreichste Star im Stummfilmgeschäft, Roscoe "Fatty" Arbuckle.

Mord im Hotel

Fatty Arbuckle verdankte seinen Spitznamen seiner Fettleibigkeit. Trotz seines Körperumfangs war dieser Schauspieler ausgesprochen agil - und das musste er auch sein, denn Fattys Spezialgebiet war es, in seinen Komödien möglichst spektakulär hinzufallen. Sein "comic timing" war legendär. Fatty Arbuckle galt als Entdecker von Buster Keaton und er war auch ein Mentor von Charlie Chaplin.

Das Publikum liebte den tollpatschig wirkenden Mimen mit dem "baby face". Umso größer der Schock, als es plötzlich hieß, er hätte die junge Virginia Rappe bei einer dreitägigen Orgie im Hotel St. Francis in San Francisco so brutal vergewaltigt, dass diese darauf ums Leben kam. Obwohl er schlussendlich vom Gericht freigesprochen und für unschuldig erklärt wurde, war Fatty Arbuckles Karriere ruiniert.

Als ich an einem Sonntagnachmittag Anfang September nach Hause kam, stolperte ich auf der Treppe über eine scharfe Rothaarige. Ich hatte am Freitag ein misslungenes Casting bei Hal Roach gehabt, danach auf dem Nachhauseweg einen oder drei auf das Labor-Day-Wochenende getrunken und dachte zuerst, ich würde sie nur träumen.

Buchcover: Blick auf Hollywood in der Nacht

KIEPENHEUER & WITSCH

Nein, Hardy Engel träumt nicht. Auf den Stufen vor seiner Wohnung wartet tatsächlich die bildhübsche, rothaarige Pepper Murphy auf ihn. Denn wenn der gebürtige Deutsche nicht gerade versucht, eine Rolle bei einer Filmproduktion zu ergattern, ist er gelegentlich als Privatdetektiv tätig. Pepper bittet ihn, mit verführerischem Augenaufschlag und der Verlockung eines nicht unbeträchtlichen Honorars, eine Freundin von ihr aufzuspüren: Virginia Rappe.

So beginnt Christof Weigolds Roman, der tief in Vertuschungsmaschinerien Hollywoods eintaucht. Die Filmmetropole galt als Sündenpfuhl, denn skandalwürdige Ereignisse gab es dort am laufenden Band - man denke nur z.B. an Charlie Chaplins Vorliebe für minderjährige Mädchen - allerdings konnte bis zum Mord an Virginia Rappe eben alles relativ gut vertuscht werden.

Verzweigte Ermittlungen

Der Zufall will es, dass Hardy Engel neben Peppers Auftrag auch einen von seinem alten Bekannten Fritz erhält. Dieser stammt ebenso wie Hardy aus Deutschland und ist der Sicherheitschef von Famous Players-Lasky, jenem Studio, bei dem Fatty Arbuckle unter Vertrag stand. Für Fritz soll Hardy mehr über Virginia herausfinden, die in Hollywood den Ruf einer Nymphomanin hatte. Und dann wird Hardy von Carl Laemmle, ebenfalls ein Deutscher und Gründer der Universal Studios, quasi zwangsverpflichtet, auch für ihn zu arbeiten.

Der Privatermittler steckt in einem Dilemma: Einerseits wird ihm schnell bewusst, dass ihm keiner seiner drei Auftraggeber die volle Wahrheit in Sachen Virginia sagt, und er dadurch nicht nur einmal in Lebensgefahr gerät, andererseits lockt das Geld. Und das kann Hardy immer gut gebrauchen. Doch je mehr er bei seinen Ermittlungen ans Tageslicht fördert, desto größer das Verlangen nach Gerechtigkeit. Das ist allerdings an einem Ort wie Hollywood nicht leicht, wovon etwa die Haltung des Universal-Chefs Carl Laemmle zeugt:

Ich habe nicht nur ein Studio gegründet, ich habe Hollywood gegründet. Und ich werde alles dafür tun, um es zu erhalten. Wissen Sie, man darf seinen Optimismus nicht verlieren. Das ist es, was die Deutschen falsch machen, immer schon falsch gemacht haben, und überwinden müssen. Sie sind Pessimisten. Hier gewinnen die Optimisten, die an sich glauben.

Es ist offensichtlich, dass Christof Weigold viel für seinen Roman recherchiert hat, sowohl über den Kriminalfall Virginia Rappe als auch über das Hollywood des Jahres 1921. Viele Persönlichkeiten aus dieser Zeit haben Auftritte im Roman und auch die zahlreichen Schauplätze hat es tatsächlich gegeben. Das alles beschreibt der Autor wunderbar lebendig und mit viel Humor. Wenn Hardy an einem heißen Sommertag mit der Straßenbahn fährt, weil er kein Auto besitzt, schwitzt man mit ihm mit und ekelt sich vor den Ausdünstungen der anderen Fahrgäste. Wenn er mit neuen Schuhen den langen Sunset Boulevard entlanggeht, spürt man die Blasen an seinen Füßen.

Die Schattenseiten der Filmstars

Hardy Engel ist ein sympathischer Protagonist, dem die eigenen Schwächen durchaus bewusst sind. Von den zahlreichen Filmstars, die ihm nebenbei so über den Weg laufen - darunter Buster Keaton, Charlie Chaplin, Rudolph Valentino und Gloria Swanson -, lässt er sich nicht wirklich beeindrucken. Er kennt ihre Geheimnisse - in der Regel sind das Drogensucht, Homosexualität oder außereheliche Affären. In einigen Romanabschnitten geht es in Sachen Sexualität und Drogenrausch auch ganz schön wild zu.

Mit mehr als 600 Seiten ist "Der Mann, der nicht mitspielt" ein sehr umfangreiches und überaus lesenswertes Debüt. Hardy Engels zweiter Fall soll übrigens im kommenden Jahr erscheinen - man darf gespannt sein.

Service

Christof Weigold, "Der Mann, der nicht mitspielt - Hollywood 1921: Hardy Engels erster Fall", Kiepenheuer & Witsch

Gestaltung

Übersicht