Luftbild des Gefängnisgeländes

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Auf der Suche nach dem verräterischen Klang

Es stinkt bestialisch, es ist kalt, dunkel und mucksmäuschenstill. Unglaublich laut dreht sich der Schlüssel im Schloss der Nachbarszelle, fallen die Wassertropfen auf den kalten Betonboden. So klingt Saydnaya, bekannt als Syriens Foltergefängnis.

Die Menschenrechtsorganisation geht davon aus, dass in Saydnaya von 2011 bis 2015 zwischen 5.000 und 13.000 Menschen gehängt wurden. Nochmal so viele sind an den grausamen Haftbedingungen gestorben. Amnesty International sammelt seit Jahren Indizien, die die Gräueltäten beweisen. Das Regime lässt allerdings keine internationalen Beobachter zu und ehemalige Häftlinge können den Ort nicht beschreiben, weil sie den Ort mit Ausnahme ihrer Zeller nur mit verbundenen Augen betreten haben.

Gemeinsam mit dem Künstler und Forscher Lawrence Abu Hamdan hat Amnesty International Saydnaya daher minutiös rekonstruiert. So hat das Team gemeinsam mit sechs ehemaligen Insassen ein dreidimensionales Computermodell des Gebäudes erstellt, das man nur aus Satellitenaufnahmen kannte.

Sie stützen sich fast gänzlich auf die akustischen Erinnerungen der Männer. Anhand der Schritte von Wärtern wurden Gänge rekonstruiert, klackenden Türschlösser verrieten die Anzahl von Zellen und der Klang von Schlägen diverse Foltermethoden. So wurde Stück für Stück ein unbekannter Ort rekonstruiert.

Lawrence Abu Hamdan ist Teil des Londoner Kollektiv Forensic Architecture, das versucht solche kniffligen Fälle von Menschrechtsverletzungen auf der ganzen Welt aufzuklären – mit ungewöhnlichen Methoden. Er selbst bezeichnet sich selbst nicht nur als Künstler, sondern als "Private Ear"- in Anlehnung an die englische Bezeichnung des Privatdetektives "Private Eye".

Denn Töne sind genauso verräterisch und auch objektiv messbar wie die Aufzeichnung einer Überwachungskamera oder Fußabdrücke: das ist Grundannahme hinter der Akustischen oder auch Audio-Forensik, einem Teilbereich der Kriminalistik. Mithilfe spezieller Software und dem erfahrenen Ohr eines Phonetikers lassen sich aus Tonaufnahmen wichtige Indizien herausfiltern.

Meist steht die menschliche Stimme dabei im Zentrum. Bloß wie verlässlich sind die wissenschaftlichen Methoden der akustischen Forensik und ist eine Stimme als Beweismittel vor Gericht überhaupt zulässig? Über dieser Frage ist die wissenschaftliche Community, die sich mit Stimm- und Audioanalyse auseinandersetzt, uneinig. Denn unsere Stimme ist zwar einmalig, klingt aber nicht immer gleich. Eine Stimme kann sich stark verändern: sie ist in der Früh tiefer als am Abend, ebenso wenn wir erkältet sind. Und sie wandelt sich je nach Emotion: ist man müde oder aufgeregt, spricht man leise ins ein Mikro oder laut auf einer Bühnen – und Stimmen altern.

Eine Stimme lässt sich nicht so leicht einer Person zuordnen wie das Erbgut. Das führt regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen Phonetikerinnen, Informatikern, Anwältinnen und Forensiken. Und es führt zu umstrittenen Gerichtsurteilen und kann Unschuldige hinter Gitter bringen. So hat vor kurzem ein deutsch-italienisches Team von Wissenschaftsjournalisten in einer umfangreichen Recherche weltweit 20 Fälle ausgemacht, in denen Stimmanalysen unzureichend und fehlerhaft waren. Dokumentiert sind sie auf der Webseite "Hearing Voices."

In der Stimmforensik gibt es derzeit einen Wildwuchs an verschiedenen Methoden, viele Experten arbeiten computerunterstützt. Doch es gibt kaum Standards, die festlegen, was vor Gericht zulässig ist und was nicht.

In Österreich sind Sprachgutachten vor Gericht selten, sagt Silvia Moosmüller, Phonetikerin an der Akademie der Wissenschaften und Stimmgutachterin. Offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht. In anderen Ländern kommen Stimmgutachten häufiger zum Einsatz. Relativ viele sind es in Großbritannien, doch auch hier fehlen offizielle Zahlen. Schätzungsweise fallen 500 Gutachten pro Jahr an.

Sehr viel Aufmerksamkeit hat die Arbeit von Phonetikern 2014 bekommen, bei der Suche nach dem Mörder von James Foley. Der US-amerikanische Journalist James Foley wurde 2012 in Syrien entführt und zwei Jahre später vom IS vor laufender Kamera enthauptet. Der vermummte IS-Mörder wurde unter anderem anhand seiner Stimme in einem Propagandavideo identifiziert. Verraten hat ihn sein Londoner Akzent. Die britische Boulevardpresse gab ihm deshalb den Spitznamen: Jihadi John.

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Amnesty International - Saydnaya

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