Conquita Wurst

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Conchita Wurst meets Jesus

10. Mai 2014, Kopenhagen. Ein Mann im eng geschnittenen glitzernden Abendkleid singt ein Lied über die Unsterblichkeit, das Geboren-Werden aus der eigenen Asche. Conchita Wurst - im bürgerlichen Leben Tom Neuwirth - Vollbart tragende Drag-Queen hat damit den Eurovisions-Songcontest gewonnen. Und eine Popularität, die bis heute anhält. Vielleicht auch, weil es hier um Mut geht, den Mut zum Anderssein.

Die niederländische Theologin Mariecke van den Berg - Mitglied der reformierten Kirche - hat sich mit dem Phänomen Conchita auf theologisch-wissenschaftlicher Ebene beschäftigt: Sie ortet eine starke Verbindung zu gängigen Jesus-Bildern. Brigitte Krautgartner hat mit ihr ein Interview dazu geführt:

Die Kunstfigur Conchita erregt ja in manchen Kreisen durchaus Anstoß: ein bekennend homosexueller Mann, der zu seiner HIV-Infektion öffentlich steht, tritt als bärtige Frau auf. Wo sehen Sie hier Berührungspunkte zu Jesus von Nazareth?

Conchita Wurst

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"Ich habe das sehr interessant gefunden... als sie 2014 den Eurovisions-Songcontest für Österreich gewonnen hat, haben viele gesagt: sie sieht irgendwie wie Jesus aus. Und ich wollte wissen, was hinter dieser Wahrnehmung steckt. Zuerst habe ich mir gedacht: das sind nur Äußerlichkeiten. Die langen Haare, der gepflegte Bart, die sanften Augen - das findet man ja auch in so vielen Jesusdarstellungen. Und deshalb wird Conchita mit ihm in Verbindung gebracht."

Gibt es etwas, das über die Ebene der Äußerlichkeiten hinausgeht?

"Ich glaube, da geht es um mehr, auch um etwas Theologisches. Wenn man Interviews mit Tom Neuwirth liest - also dem Menschen hinter der Kunstfigur - da ist da ja eine schwierige Geschichte, die Geschichte eines Menschen, der "anders" war und der das verbergen musste. Und dann, auf der Bühne des Songcontests, zeigt er sein wahres Ich, er steht im Rampenlicht, er ist der Superstar, steigt sozusagen aus der Asche empor - wie es im Lied "Rise Like a Phoenix" ja auch ausgedrückt wird. Das erinnert schon an Jesus, der irgendwo in einem unbekannten Dorf lebt, und zu einem gewissen Zeitpunkt zeigt er sich als Messias. Also diese ganze Geschichte - aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit zu treten... da gibt es schon eine Parallele."

Noch einmal zurück zum Thema Äußerlichkeiten: Conchita spielt mit den Attributen einer Drag-Queen - was hat das mit Jesus zu tun?

"Es gibt ja kein zeitgenössisches Bild von Jesus. Also weiß niemand, wie er tatsächlich ausgesehen hat. Aber es gibt so etwas wie ein kollektives Bedürfnis, das Aussehen von Jeus zu kennen. Und das Bild, das wir jetzt haben, enthält beides: maskuline und feminine Züge. Das vorherrschende Jesus-Bild zeigt ja nicht direkt einen dominanten Macho-Mann. Das uns bekannte Jesus-Bild hat ja durchaus feminine Züge. Ich glaube, es gibt da etwas in den Menschen, das genau das will: einen Jesus, der nicht zu maskulin erscheint."

In der römisch-katholischen Tradition gibt es durchaus sehr männlich konnotierte Jesus-Bilder. Den Christkönig etwa – den großen Sieger. Das Weibliche wird im Katholizismus traditionell eher von Maria verkörpert. Sie gilt zwar nicht als göttliche Person, wird aber doch sehr intensiv verehrt.

"Das könnte schon sein, dass das Bedürfnis, Jesus mit weiblichen Zügen zu zeigen, in den protestantischen Kirchen ausgeprägter ist, da spielt ja Maria auch nicht so eine Rolle. Ich spreche von diesem protestantischen Jesusbild. Es könnte aber auch theologische Gründe haben, ein so sanftes Jesus-Bild zu zeichnen. Die Evangelien sprechen ja von einer "anderen" Art der Herrschaft: da geht es nicht so sehr um männliche Kraft und Dominanz - sondern darum, anderen zu dienen, für andere da zu sein. Vielleicht ist das unbewusst auch in die bildlichen Darstellungen eingeflossen: weil wir uns nach dieser Art von Leitung sehen - nicht mit Zwang und Befehlen, sondern aufbauend auf Gemeinschaft und Liebe."

Jesus hat laut biblischer Überlieferung nicht nur ein alternatives Konzept von Leitung entwickelt. Es heißt, er ist auch zu Menschen gegangen, die in der damaligen Gesellschaft Ausgestoßene waren: Menschen mit Behinderung etwa - oder Menschen mit zweifelhaftem Ruf. Noch am Kreuz hat er den Erzählungen zufolge einem verurteilten Verbrecher Mut zugesprochen. "Jesus in schlechter Gesellschaft" - so heißt ein Buch aus den 1970er Jahren, das seinem Autor Adolf Holl massive Konflikte gebracht hat. Wie stehen Sie zu diesem Jesus-Bild? Jesus in schlechter Gesellschaft.

"Ich glaube, es wäre gut, ein sehr properes, aufpoliertes Bild von Jesus kritisch zu betrachten. Das würde nämlich bedeuten, dass sich Gott in einem geradezu keimfrei-sauberen Menschen inkarniert hat. Und die Menschheit ist nicht keimfrei-sauber. Menschen haben ihre Abweichungen von der Norm, haben ihre hässlichen Seiten - was wir eben als hässlich einschätzen. Die nächste Frage wäre dann: können wir auch in diesen Menschen etwas Jesus-Ähnliches sehen? Können auch sie uns etwas von Gott vermitteln? Auch so könnte man von diesem blitzblanken Jesus wegkommen - denn der blitzblanke Jesus hat für mich etwas Gefährliches an sich."

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