Maßband, dahinter in der Tiefenunscharfe das Wiener Parlament

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Message Control

Vermessung der Zeitungslandschaft

Medienpolitisch standen die Zeitungen zuletzt ein wenig im Schatten der elektronischen Mitbewerber, aber journalistisch prägen die Boulevardblätter ebenso wie die Qualitätspresse die Medienlandschaft ganz enorm. Und Beobachter finden, dass die Regierung samt ihrer Message Control etwas mit den Zeitungen macht.

Die Zeitungen sind nicht zur Objektivität verpflichtet wie zum Beispiel der ORF, sie können also sehr klar auch Stellung beziehen - etwa zur Regierungspolitik. Und sie tun das auch. Zuletzt hat es eine konzertierte Aktion der Chefredakteure von "Profil", "Kurier", "Die Presse", "Standard" und "News" gegeben. Die haben massive Kritik am Interview mit FPÖ-Innenminister Herbert Kickl im ORF-Report geübt - da hat Kickl nämlich versucht, in der Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz BVT den Spieß umzudrehen und das Ganze als Erfindung von Journalisten hinzustellen.

Chefredakteure gegen Innenminister

In den Leitartikeln war dann auch von Überlegungen im Innenministerium die Rede, dass Hausdurchsuchungen in jenen Redaktionen durchgeführt werden könnten, die in der BVT-Affäre recherchieren. Das Redaktionsgeheimnis würde dann nicht davor schützen, wenn die betroffenen Journalisten als Beschuldigte geführt würden. Die Chefredakteure haben Kickl ganz klar gesagt: bis hierher und nicht weiter. Der Minister hat den Verdacht in Richtung möglicher Hausdurchsuchungen zurückgewiesen.

Besondere Schärfe aus Vorarlberg

Der Chefredakteur der "Vorarlberger Nachrichten", Gerold Riedmann, hat übrigens schon vor Wochen einen Kommentar mit dem Titel "Kick Kickl" geschrieben und darin quasi den Rücktritt des Innenministers gefordert. Eugen Russ, dem diese Zeitung gehört, sieht die VN dennoch nicht als Speerspitze der Regierungskritik: "Ich glaube nicht, dass wir besonders kritisch waren. Es gibt Themen, die wir kritisch sehen, aber ansonsten steht dieser Regierung eine heterogene und selbstbewusste Medienlandschaft gegenüber."

"Profil"-Chef kritisiert die Branche

Zur Rolle der Boulevardmedien, vor allem "Kronen Zeitung" und "Österreich", die auffallend freundlich mit der Regierung umgehen, will sich der Verleger Russ nicht äußern. Ganz anders und offen kritisch gegenüber der eigenen Branche ist hingegen "Profil"-Herausgeber Christian Rainer, dem ja selber eine Nähe zu ÖVP-Chef Bundeskanzler Sebastian Kurz vorgehalten worden ist - was Rainer immer mit einem Verweis auf eigene, Kurz-kritische Kommentare im Nachrichtenmagazin kontert. Rainer sieht in der Berichterstattung der Zeitungen sehr wohl eine Schlagseite.

"Irrational regierungsfreundlich"

Er habe den Eindruck, "dass einige der großen Medien in ihrer Irrationalität dann regierungsfreundlich werden", sagt Rainer. "Das betrifft weniger einzelne Artikel oder bestimmte Journalisten, aber in der Summe ist es so." Da werde weniger Journalismus als Social Media gemacht, Rainer vermisst journalistische Grundsätze. Ein hartes Urteil, das freilich eher pauschal gehalten ist.

Doppelpass-Spiel der "Kronen Zeitung"

Helge Fahrnberger vom Medien-Watchblog "Kobuk" teilt das Unbehagen von Christian Rainer – und Fahrnberger nennt ein Beispiel: "Mir fällt da sofort die 'Kronen Zeitung' ein, wie sie mit der Regierung Doppelpass spielt. Will die Regierung das Thema Albanien-Route setzen, auch wenn es die Migrationszahlen nicht hergeben, dann nimmt die 'Krone' das dankbar auf." Am nächsten Tag sei das gleich der Blattaufmacher, so Fahrnberger – wobei man dazusagen muss, dass dieses spezielle Thema praktisch alle Medien im Land aufgegriffen haben.

Themen, die die Angstlust bedienen

Und das, obwohl die Absicht der Regierung für alle klar erkennbar war: Die Koalition wollte wieder einmal ihr Top-Thema spielen - "für das sie ja gewählt worden ist", wie es immer heißt. Es sei tatsächlich sehr schwer, sich als Medium all dem zu entziehen, gibt Fahrnberger zu: "Diese Regierung produziert sehr geschickt Bilder, die ideal sind für Boulevardmedien. Sie erzählt Geschichten, die diese Angstlust bedienen, mit der man Zeitungen verkaufen kann."

"Schwarz-Blau macht das einfach besser"

Und Schwarz-Blau mache das, was frühere Regierungen auch versucht haben, einfach besser, sagt Fahrnberger – der übrigens die Gratis-Zeitung "Heute" lobend hervorhebt. Das Blatt, das sich gern als der "gute Boulevard" positionieren möchte, hat die Bilder vom Ausflug der Regierung nach Brüssel anlässlich der Übernahme des EU-Vorsitzes boykottiert. Chefredakteur Christian Nusser hatte das mit der allzu plumpen Inszenierung der Szene, die von einem Fotografen des Kanzleramts festgehalten worden ist, begründet. Sonst hatten praktisch alle Zeitungen das Bild aus dem Flugzeug.

Eine Übung für Propagandazwecke

Fahrnberger betont, dass genau das die Aufgabe der Medien sei: Hinter die Inszenierungen zu schauen und sie zu entlarven. Dazu gehört auch die sogenannte Grenzschutz-Übung in Spielfeld, die selbst von der Polizei als "Vorführung" bezeichnet worden ist - mit Zuschauertribüne für Ehrengäste. Die Bilder, die man dort gemacht hat, werden bereits für Propagandazwecke eingesetzt. Gesehen bei einer Pressekonferenz von Verteidigungsminister Kunasek und Innenminister Kickl, beide FPÖ: Dort ist ein Video gelaufen, mit Bildern von der Übung - im Gegenschnitt Sequenzen aus 2015 von Flüchtlingen am Grenzübergang Nickelsdorf. Ordnung gegen Chaos sozusagen.

Helge Fahrnberger

LISA LUX

Helge Fahrnberger

PR-Profis plus externe Berater

Für den Blogger Helge Fahrnberger ist das auch eine Frage von personellen Kapazitäten: "Wir haben über fünfzig PR-Profis in der Regierung plus externe Berater, die alle an der Themensetzung arbeiten. Und der Journalismus hat zunehmend weniger Ressourcen. Es ist ein ungleicher Kampf." Wobei Journalisten das nicht unbedingt als Kampf sehen, und Pressesprecher in den Ministerien auch nicht als Feinde, sondern als Gesprächspartner. Aber sie haben natürlich ihre Botschaften, und damit müssen Journalisten umgehen. Die einen tun das so und die anderen so.

Kurz-Festspiele im Ö1 Journal?

Beispiel Ö1 Journale: Vorige Woche war Kanzler Kurz zweimal binnen drei Tagen zum Interview im Ö1 Morgenjournal, eines hat sogar zehneinhalb Minuten gedauert. Das ist aufgefallen, und es wird sofort alles Mögliche hineininterpretiert - auch wenn es natürlich erklärbar ist: mit der Übernahme des EU-Vorsitzes, mit der Debatte um eine europäische Asylregelung.

Aufregung um einen Juncker-Sager

Im Zusammenhang mit der Asylpolitik hat es diese Woche in der Branche auch eine Debatte über Aussagen von Jean-Claude Juncker beim Besuch der Europäischen Kommission in Wien gegeben. Der Präsident der Kommission hatte in einer Pressekonferenz - neben Kanzler Kurz stehend - gesagt: „Wenn ich Ratsvorsitzender wäre, würde ich hier nicht so großspurig auftreten.“ Die Passage war live im ORF zu sehen und zu hören, ist aber nicht in der ZIB ausgewertet worden - während etwa ATV das in der aktuellen Nachrichtensendung gebracht hat.

Jean-Claude Juncker und Sebastian Kurz

Jean-Claude Juncker und Sebastian Kurz

APA/HERBERT NEUBAUER

Die Vermutung von Interventionen

Sofort hat sich im Netz eine Verschwörungstheorie verbreitet, nämlich dass das Kanzleramt eine Berichterstattung über den Juncker-Sager verhindert habe. Massive Interventionen sind vermutet worden. Und verschärfend kam hinzu, dass der "Kurier" online über eine Maßregelung des Kanzlers durch den Kommissionspräsidenten berichtet - und nach einiger Zeit den Artikel vom Netz genommen hat. Mit der Begründung, man habe die Sichtweise, die das Kanzleramt und später auch Juncker selbst vertreten haben, nicht berücksichtigt gehabt - dass nämlich der umstrittene Satz von Juncker auf sich selbst bezogen gewesen sei.

"Asyltourismus" und "Festung Europa"

Wenn man genau hinhört, dann ist das zwar durchaus möglich. Doch zu einer Verschwörungstheorie passt das natürlich nicht. Ein Gutes haben solche Debatten aber trotz allem: Journalisten wird ins Bewusstsein gerufen, wie wichtig Transparenz ist. Und wie problematisch manche Begriffe sind und wie weit solche Begriffe - etwa "Asylshopping" oder "Asyltourimus" - schon verbreitet sind. Zum Beispiel auch im linksliberalen "Standard". Dort ist kürzlich auch ein Plädoyer für eine "Festung Europa" erschienen, von Eric Frey. Der Kollege hat das penibel argumentiert, es gab dann später auch einen Gegenkommentar aus der Redaktion dazu - aber bemerkenswert bleibt es.

"Medien sind nicht vorsichtig genug"

Und es passt in eine aktuelle Strömung, wie sie Helge Fahrnberger beschreibt: „Wenn sogar der 'Standard' das Wort 'Asyltourismus' verwendet, als wäre das ein faktischer Begriff, dann halte ich das für problematisch. Denn mit Tourismus hat das nichts zu tun." Gleiches gelte für die "Deckelung" der Mindestsicherung, die eine Kürzung sei. Und Begriffe wie "Welle", "Ansturm" und "Flut" im Kontext mit Flüchtlingen lösten in den Köpfen Bilder aus. Begriffe wie diese kämen in der Zeitungslandschaft neuerdings relativ oft vor. "Da glaube ich, dass Medien nicht vorsichtig genug sind", so Fahrnberger.

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