Szene aus Lohengrin

ENRICO NAWRATH

Bayreuther Festspiele

Neo Rauch und Rosa Loy in Bayreuth

Seit ihren Anfängen ist die Oper mit der Malerei aufs engste verbunden. Pablo Picasso hat für die Bühne gemalt, Anselm Kiefer und zuletzt Malerfürst Georg Baselitz, dessen Bühnenbild für den Münchner "Parsifal" Kritik erntete. Das deutsche Malerehepaar Neo Rauch und Rosa Loy hat nun das Bühnenbild und die Kostüme für den Bayreuther "Lohengrin" entworfen.

"Was wir hier betreiben ist eine Art Exorzismus!"

Auf der Bühne erscheint eine romantische Schilflandschaft, die in monochromes Blau getaucht ist, ein erhabenes Landschaftspanorama, das an Caspar David Friedrich denken lässt. Es ist das Setting einer Traumlandschaft, oder eines Märchens, in dem die Sänger am Anfang des 2. Aktes fast geisterhaft auftauchen und wieder verschwinden.

Die Malerei Neo Rauchs, der am Lohengrin-Stoff seit rund sechs Jahren gearbeitet hat, wird auf der Bühne zum Bewegtbild. Die historisch anmutenden Figuren, die man aus Rauchs Malerei hinlänglich kennt, werden lebendig. Hier soll Ton in Farbe übersetzt werde. Friedrich Nietzsche schrieb über Wagners "Lohengrin", dass diese Musik blau sei, genauer: von opiatischer narkotischer Wirkung. Auf dieses Nietzsche-Zitat, so Neo Rauch, sei er allerdings erst spät gestoßen. Inspiration seien für ihn zunächst die blauen Ornamente von Delfter Porzellan gewesen. "Es ist einfach schön zu sehen, wie Musik unterschwellig wirkt und Farben heraufbeschwört", sagt Neo Rauch.

Wenn Ton in Farbe übersetzt wird

Traditionell illustriert und interpretiert das Bühnenbild die Musik. In den letzten Jahren wurde dieses hierarchische Verhältnis von Musik und Bildender Kunst jedoch immer wieder aufgehoben. Bei den Salzburger Festspielen 2017 etwa machte der südafrikanische Künstler William Kentridge als Regisseur von Alban Bergs "Wozzek", die Opernbühne zum intermedialen Erfahrungsraum.

Vergleichsweise konservativ fällt die Theaterarbeit des Ehepaars Neo Rauch und Rosa Loy aus. Sie schaffen in erster Linie eine gelungene Kulisse für das Bühnengeschehen. Christian Thielemann, der den "Lohengrin" schon mehrmals dirigiert hat, betont die Wirkung, die dieses Bühnenbild auf die musikalische Arbeit gehabt habe. "Ich habe den ‚Lohengrin‘ von allen Wagneropern am öftesten dirigiert. Lustigerweise ist es die letzte Wagneroper, die ich in Bayreuth mache. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn hier rein gestisch und innerlich völlig anders mache. Das hat auch mit dem Bild zu tun, das ich hier sehe. Denn man reagiert hinter dem Pult schon auf die Bilder. Ich entdecke dieses Jahr hier Dinge, die ich im ‚Lohengrin‘ noch nie entdeckt habe."

Lohengrin als Dauergast im Atelier

Als prominentesten Vertreter der Neuen Leipziger Schule kennt man Rauch seit den 1990er Jahren. Er gilt als Meister einer präzisen Maltechnik, die in den 1980er und 1990er Jahren wohl nur noch an den Kunsthochschulen des Ostens gelehrt worden ist und sich aus der Tradition des sozialistischen Realismus speist. Für das große Formexperiment stand Rauchs figurative Malerei nie.

Die avancierte Kunstkritik rümpfte im Gegenteil oft die Nase, bezichtigte Rauch des ästhetischen Konservativismus. Doch vor allem bei US-amerikanischen Sammler und Sammlerinnen erzielen Rauchs surreal anmutende Gemälde nach wie vor Höchstpreise. Auch auf der Leinwand, sagt Neo Rauch, sei Lohengrin in den vergangenen 6 Jahren präsent gewesen "Wagner hat mich zweifellos inspiriert", sagt Neo Rauch, "Natürlich sind durch die Auseinandersetzung mit Wagner die Bilder entstanden, die wir jetzt auf der Bühne sehen. Wagner hat sich aber auch in meine Arbeit auf der Leinwand eingeschlichen. Also es gibt changierende Momente, in denen sich ‚Lohengrin‘ in meine Bildwelt hineinmassiert."

Mythos und Geschichte fließen ineinander

1850 wird der "Lohengrin" in Weimar uraufgeführt. Wagner lässt wie auch in seinen späteren Arbeiten Mythos und Geschichte ineinanderfließen. Die märchenhafte Figur des Schwanenritters Lohengrin, der in Wolfram von Eschenbachs Epos "Parizival" als Sohn des Gralsritters eine eher untergeordnete Rolle spielt, verknüpft er mit einer historischen Rahmenhandlung, die auf das Jahr 933 datierbar ist. In diesem Jahr besiegte König Heinrich I die Ungarn. Wagner, der 1848 an der Revolution in Dresden teilgenommen hat, lässt Heinrich ein deutsches Reich besingen, das es realpolitisch weder im 10. Jahrhundert noch zur Zeit der Uraufführung des "Lohengrin" gegeben hat.

"Bayreuth ist ein ambivalenter Ort!"

Neo Rauch und Rosa Loy versetzen ihren "Lohengrin" in die Goldene Epoche der flämischen Malerei, schicken die Figuren in eine entrückte Traumlandschaft, die historisch unbestimmt bleibt. Einmal nehmen sie Anleihen bei Rembrandts "Nachtwache", dann wieder taucht Lohengrin in der Montur eines Elektrikers auf, fast so als wäre er einem Gemälde des sozialistischen Realismus entstiegen.
Dass der "Lohengrin" trotz seiner märchenhaften Züge auch als identitätsstiftende nationale Erzählung gelesen wurde, spielt in der Inszenierung von Regisseur Yuval Sharon keine Rolle. "Bayreuth ist, wie wir alle wissen, ein ambivalenter Ort", betont Neo Rauch, "Es ist eine Art der Wundheilung, die hier stattfindet, wie sie besser kaum geschehen kann. Wir alle wissen, was hier passiert ist, dass hier auch ein Ungeist ein und ausging in diesem Hause. Wir betreiben eine Art Exorzismus."

Wenngleich Neo Rauch sich der politischen Vereinnahmung des Wagnerschen Werks im wilhelminischen Deutschland und vor allem im Nationalsozialismus bewusst ist, in der Inszenierung, die gestern in Bayreuth zu sehen gewesen ist, wird diese Einsicht nicht deutlich herausgearbeitet.