Papst Paul VI.

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Aufbruch, Umbruch und Abbruch - 1968 und die Kirchen

Den politischen Ereignissen der 68er Jahre konnte sich auch die Kirchen nicht entziehen. Viele Christinnen und Christen forderten vehement ein politisches Christentum. Die katholische Kirche sollte in der Gegenwart ankommen.

Es war das Jahr, in dem in den USA die Proteste gegen den Vietnamkrieg begonnen haben und Martin Luther King ermordet wurde. In dem in Prag vergeblich der Aufstand gegen die kommunistische Diktatur geprobt wurde. Und in dem die Studentinnen und Studenten in Paris, München und Berlin und in kleinerer Form auch in Wien gegen die autoritären Machtstrukturen an den Universitäten protestierten.

Den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen konnten sich auch die christlichen Kirchen nicht entziehen. Anfang der 60er Jahre ist die Antibabypille auf den Markt gekommen, womit die sogenannte sexuelle Revolution erst so richtig in Gang gekommen ist. Für die römisch-katholische Kirche waren die Entwicklungen damals eine immense Herausforderung, gar eine Provokation.

Während man sich im Zweiten Vatikanischen Konzil von 1962-65 noch der Moderne geöffnet hatte, war 68 Schluss mit lustig: Die sogenannte "Pillenenzyklika" von Papst Paul VI. hat künstliche Verhütungsmethoden verboten. Genau 50 Jahre ist das alles jetzt her. 1968 - ein Jahr, in dem damals die Gemüter hochkochten und das bis zum heutigen Tag die Geister spaltet.

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im Wordrap zu 1968

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker, die Innenpolitik-Journalistin Anneliese Rohrer, die Publizistin und früher ORF-Journalistin Trautl Brandstaller, der Politologe Anton Pelinka erinnern sich an die 68er Jahre.

Freie Liebe

Rohrer: Die hat für sehr viele gegolten, ich persönlich habe das nie erlebt. Ich bin kein Gruppen-Mensch und das war ja auch sehr ideologisch besetzt. Das fand in Gruppen statt, in Orgien – das ist nicht so meines.
Brandstaller: Viel öfter davon geredet als wirklich praktiziert.
Pelinka: Eine schöne Idee, ein bisschen naiv, aber grundsätzlich nichts Negatives.
Bünker: Die ersten Aufklärungsfilme, die schrecklich waren.

Der Wordrap von Trautl Brandstaller.

Kommunen

Brandstaller: Ein lustiges Experiment, das binnen sehr kurzer Zeit gescheitert ist, weil sich darin Zweier-Beziehungen gebildet haben.
Pelinka: Der Versuch, die Arbeitsteilung in der Familie zu überwinden. Von der Tendenz her sympathisch, von der Umsetzbarkeit her wäre ich skeptisch.

Der Wordrap von Anton Pelinka.

Prager Frühling

Bünker: Sehr positiv - Alexander Dubcek eine politische Hoffnungsgestalt, tragisch geendet.
Rohrer: Die ganz große Angst damals schon und die ganz große Enttäuschung. Und der ganz große Stolz, wie sich Österreich damals verhalten hat. Aber das war sehr knapp. Das war das erste Mal, dass in meiner Generation, in der Nachkriegs-Generation, das Bewusstsein da war, das kann auch ganz anders kommen.

Der Wordrap von Anneliese Rohrer.

Martin Luther King

Bünker: Ein Heiliger und Märtyrer des Christentums im 20. Jahrhundert.
Brandstaller: Ein großes Vorbild für uns alle, die gesamte Bürgerrechtsbewegung in Amerika ist ja ein Teil der 68er-Bewegung und der Spruch "I have a dream" war für uns alle ein Leitmotiv. Wir haben ja nicht zufällig den Slogan gehabt: "Paradise now!"

Der Wordrap von Michael Bünker.

Flower Power

Pelinka: Das ist so ein bisschen Alltags-Pazifismus, die Vorstellung, man könnte gegen Panzer mit Blumen ankämpfen. Wiederum: Sympathisch, als einzelne Aktion vielleicht auch sinnvoll, aber nicht wirklich ein überzeugendes Konzept.
Rohrer: Kränze im Haar, Wiesen, lange Röcke und wieder dieses Kommunen-Ding, dieser Massenauftritt von Gleichgesinnten, das hat mich immer skeptisch gemacht.

Revolte/Revolution

Pelinka: Revolution ist sinnvoll und notwendig und auch positiv besetzt, wenn es gegen ein repressiv antidemokratisches Regime geht. Der Begriff Revolte oder Revolution in einer etablierten Demokratie ist tendenziell gefährlicher Unsinn.
Rohrer: In Österreich gekappt, oder unvollendet.
Bünker: Auf der einen Seite ist das Revoltieren etwas Notwendiges, wenn die Zustände unerträglich werden – in gewisser Weise war auch Jesus ein Revoluzzer. Revolution ist etwas anderes, ob das wirklich in einer geschichtlichen Epoche notwendig ist, ob das wirklich zu etwas Gutem führt, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Also Revolte ja, Revolution Fragezeichen.