Die vom 17er Haus, Austria 1932

AMOUR FOU FILMS

Matrix

Die Zukunft vor 100 Jahren

Ferngesteuerte Besen- und Wischmaschinen, die aus der Nähe mit der Hand gesteuert werden müssen. Ein Orchester, in dem die Instrumente von Robotern gespielt werden. Vierarmige-Roboterfriseure, ein Grammophon, das die Zeitung vorliest oder eine Maschine, die Bücher in Ton umwandelt. Diese Zukunftsvisionen malten französische Künstler rund um Villemard und Jean-Marc Cote Anfang des 20. Jahrhunderts auf Postkarten. Aber nicht nur praktisch anmutende Szenarien wurden damals entworfen, auch schon vor 100 Jahren war die Idee von Kommunikation mit Sorgen vor Überwachung und schwindender Privatsphäre verbunden.

"Unsere Zeit ist die Zeit der Verbindungen. Distanz bedeutet nichts mehr." Die Schauspielerin Tilda Swinton spricht diesen Off-Text im Essayfilm "Dreams Rewired - Mobilisierung der Träume" des Regie-Trios Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode. Es sind schnell aufeinander geschnittene schwarzweiße Archivbilder: Männer verlegen Telefonleitungen und Frauen stecken in Vermittlungszentralen die Kabel um.

Die österreichische Regisseurin Manu Luksch lebt in London, das Interview mit Ö1 wickeln wir über Skype ab. Eine Idee, die über 100 Jahre alt ist: "Sämtliche Medienutopien wurden bereits zwischen 1880 und 1930 formuliert", sagt Manu Luksch, die sich in ihrem Essayfilm "Dreams Rewired" auf diesen Zeitraum konzentriert. Eine Art Videotelefonie, ein "Telephonoskope", über das sich die Menschen live vernetzen können, hat sich etwa der französische Schriftsteller und Karikaturist Albert Robida 1883 ausgemalt.

Das Regie-Trio hat in Archiven in ganz Europa recherchiert und Ausschnitte von über 200 Filmen verwendet: erste Spielfilme, Dokumentarfilme, Wochenschauen und auch Lehrfilme, die etwa die Stärken des neuen Mediums Radio anpreisen. Bewusst haben die Regisseure die Namen der Protagonistinnen oder Jahreszahlen herausgeschnitten und sich auf die sich wiederholende Technik-Euphorie und Skepsis gegenüber neuen Medien konzentriert.

Filmstill aus "Aelita", Sowjetunion 1924

Filmstill aus "Aelita", Sowjetunion 1924

AMOUR FOU FILMS

Das neue Wunder Fernsehen

"Wir sitzen alle erste Reihe fußfrei mit Blick in andere Wohnzimmer, in andere Leben," tönt die Stimme im Essayfilm "Dreams Rewired" aus dem Off. In Echtzeit bei einem Geschehen in der Ferne dabei sein, aber nicht nur zuschauen, sondern interagieren - die Menschen hatten auch schon früher Sehnsucht nach medialem Zusammenrücken.

"Das Fernsehen stellte man sich vor einem Jahrhundert als Zweiwege-Medium, als Echtzeitmedium mit Rückkanal vor", sagt Manu Luksch, "so wie man bei einer Theaterperformance dabei sein, klatschen und ausbuhen kann. Es gab die Vision, mit Verwandten im Ausland über eine Art Videotelefon zu sprechen oder so auch fremde Kulturen über Distanz kennenlernen zu können."

Television comes to London

Die BBC drehte 1936 für ihre erste Fernsehübertragung extra einen Film, der das neue technologische Wunder Fernsehen besingt.

Überwachung via Fernsehkastl

Das neue technologische Wunder Fernsehen wurde nicht nur gefeiert, sondern auch skeptisch beäugt. Mitunter sogar ziemlich genau: "Sitzt die Dame im Kastl drinnen?" fragten Zuschauer, die nicht glauben wollen, dass die Fernsehsprecherin aus dem Fernsehgerät spricht. Ein Telefonanruf bei der Fernsehanstalt sollte etwa überprüfen, ob die Moderatorin tatsächlich im Studio saß oder das Publikum nur getäuscht wurde.

Ein älteres bereits etabliertes Medium, dem man traute - das Telefon, bestätigte damit die Funktion eines neuen Mediums. Die Skepsis wurde nicht nur mit Augenzwinkern, sondern auch ernsthaft in Technik- und Bastelmagazinen thematisiert. Schon damals machte die Sorge die Runde, dass Überwachung die Kehrseite der Verbundenheit sein könnte, erzählt die österreichische Regisseurin Luksch: "Man hat sich die Frage gestellt: Wenn diese Geräte es uns erlauben, so wie das Telefon es der Stimme erlaubt, in einem entfernten Haus gehört zu werden, kann dann auch einfach über den Fernseher in unser Haus hineingesehen werden?"

Frauen waren nicht nur im Studio und im Fernsehgerät zu sehen, sie sind auch in einer Menge anderem Archivmaterial sichtbar. Frauen, die Teil der Morse-Community waren, oder junge Mädchen, die Radios bastelten. Frauen in der Rolle als selbstbewusste Nutzerinnen neuer Technologien und die schon vom Mobiltelefon träumen.

Verbunden und vernetzt

"Jedes Zeitalter denkt von sich, es wäre das Fortschrittlichste" - dieses Zitat bringt für Manu Luksch die zyklische Technikgeschichte auf den Punkt: "Am Ende jedes Mediums scheint ein Neues zu entstehen, das wieder in neuen Händen ist und auch die Besitzverhältnisse können wieder neu verteilt werden." Verbunden, vernetzt und hin und her gerissen sind wir auch heute. Zeit für neue Verbindungen und technologische Träume, die selbst gestaltbar sind.

Service

Dreams Rewired - Essayfilm, Mobilisierung der Träume von Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode, AMOUR FOU Vienna

Gestaltung