Etwas verschwommen sieht man die Beine von Marathonläufern.

APA/Robert Newald

Reichweiten im Netz

Aufholjagd des Boulevard im Netz

Der ORF hat im Netz die Nase vorn, ORF.at hat mit Abstand die meisten Leser und Leserinnen. Dahinter kommen die Zeitungen. Und hier machen "Krone" und "Heute" dem "Standard" ernsthaft Konkurrenz. Der Teufel steckt aber, wie immer, im Detail.

An ORF.at kommt so schnell keiner heran. Zum Ärger der Zeitungen, die sich gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk benachteiligt sehen. Die sogenannte "blaue Seite" hat laut den aktuellen Zahlen der ÖWA Plus Studie 3,5 Millionen Unique User im durchschnittlichen Monat. Eine ziemlich harte Währung für die Messung des Erfolgs. Denn sie gibt an, wie viele unterschiedliche Internetnutzer eine Website in einem bestimmten Zeitraum aufgerufen haben.

"Krone" und "Heute" holen auf

Unter den Zeitungen holen die Boulevardblätter massiv auf, wie die ÖWA zeigt. Die "Kronen Zeitung" hat mit viereinhalb Millionen Unique Clients den Online-"Standard" überholt, der lange vorn war. Bei den Unique Usern liegt der "Standard" noch hauchdünn vor der "Krone". Und auch "Heute" will in diese Liga, sagt Maria Jelenko, stellvertretende Chefredakteurin. "Wir wollen den ORF ins Schwitzen bringen und unter Druck setzen, das ist unser Ziel", sagt Jelenko, die auch für die digitale Entwicklung zuständig ist.

ÖWA Plus: ORF vor "Standard" und "Krone"

Wenn der Netdoktor hilft

Der Teufel steckt freilich im Detail: Denn "Heute" nimmt das Dachangebot als Basis für seine Kampfansagen. Darin enthalten sind die Millionen Klicks für netdoktor.at, ein Medizinratgeber-Portal, das zur "Heute"-Gruppe gehört.

Es lohnt sich also, genau zu schauen. Es werden auch gern Page-Impressions präsentiert. Die zeigen, wie oft eine Seite auf einem Bildschirm erscheint, auch wenn es nur eine zufällige Sekunde beim Browsen ist, die Impressions bedeuten also nicht allzu viel.

Maria Jelenko und Wolfgang Jansky stehen in der Heute-Redaktion und halten stolz ein Tablet in die Kamera.

Die stellvertrende Chefredakteurin Maria Jelenko und Geschäftsführer Wolfgang Jansky in der "Heute"-Redaktion.

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Traffic durch Print-Reichweite

Ähnlich wie Wolfgang Fellner, der "oe24" jetzt auch als Print-Marke etablieren und damit eine Brücke zu seinem Online-Portal schlagen will, möchte auch "Heute" verstärkt Leser von der Zeitung ins Netz holen. Die Gratiszeitung arbeitet mit einem neuen Zahlencode, erzählt Jelenko: "Wir veröffentlichen unter ausgewählten Artikeln in der Zeitung einen vierstelligen Code, den die Leserinnen und Leser in eine Suchmaske eingeben, um dann direkt zu einer Geschichte zu kommen und so mehr Informationen zu erhalten." Ob das funktionierten wird, ist ungewiss.

Jede Sekunde Verweildauer zählt

Wie gut Werbung online wahrgenommen wird, hängt auch davon ab, wie lange User auf den Webseiten bleiben - und hier ist der "Standard" mit durchschnittlich achteinhalb Minuten unter den Zeitungen weit vorne, das zeigen die ÖWA-Zahlen. Für Gerlinde Hinterleitner, Verlagsleiterin beim "Standard", ist das auch entscheidend: "Die Verweildauer ist natürlich die härteste Währung. Da sind wir immer noch weit vorne."

Porträt von Gerlinde Hinterleitner.

Gerlinde Hinterleitner, Verlagsleiterin der Tageszeitung "Der Standard".

"Wir messen jeden Zugriff"

Im Vergleich zu den Reichweiten-Messungen von TV, Radio und der Media-Analyse ist die Webanalyse eine Vollmessung, betont Hinterleitner, die auch ÖWA-Präsidentin ist: "Wir messen jeden einzelnen Zugriff und weisen diese Zahlen jeden Monat aus." Für die ÖWA Plus Studie, die eigentlich vierteljährlich herausgegeben wird, heuer aber mit einiger Verspätung erschienen ist, wird die Vollmessung mit einer Online-Befragung ergänzt, um so zu soziografischen Daten zu kommen.

Künftig soll es von der ÖWA sogar täglich aktualisierte Zahlen zur Online-Reichweite geben. Bis das Projekt mit dem Namen "Daily Digital Data" umgesetzt ist, wird es aber noch dauern, sagt Hinterleitner. Die Finanzierung sei noch nicht sichergestellt.

Messung mit "Berufs-Befragten"

Immerhin gab es in jüngster Zeit auch Austritte aus der ÖWA, die Vereinskassen dürften das zu spüren bekommen haben. Konkurrenz erwächst der Webanalyse durch die Werbeeffizienzmessung Reppublika, die von der Marktforschungsagentur MindTake entwickelt wird. Beispielsweise "Heute" greift ergänzend zur ÖWA auf die Reppublika-Daten zurück, bestätigt Alexander Leitner, Onlineanzeigen-Chef der Gratiszeitung, gegenüber #doublecheck. Ein Vorteil im Vergleich zur ÖWA sei, dass die Daten aktueller seien.

Die Reppublika-Messungen basieren auf repräsentativen Online-Panels, einer fixen Gruppe von Personen, deren Online-Verhalten beobachtet wird. Für Kritiker sind das Berufs-Befragte, Schnäppchen-Jäger, die Vorteile - sprich Gutscheine - wittern. Schwächen hat freilich jede Erhebungsmethode – sei sie telefonisch, persönlich oder in Form eines Online-Fragebogens. Deshalb werden Daten im Nachhinein gewichtet, auch bei den Reppublika-Ratings. Panels versprechen jedenfalls Einblicke in die Konsumenten-Seele, die tiefer gehen als Browser-Auswertungen.

Appetit auf Cookies

Für die Werbe- und Medienbranche droht eine weitere Online-Herausforderung: Nach der Datenschutz-Grundverordnung plant die EU die Umsetzung der E-Privacy Verordnung. Sie würde bedeuten, dass die Internetbrowser es nicht mehr automatisch zulassen, dass Cookies gesetzt werden. Medienkonzerne könnten also das Nutzerverhalten auf ihren Seiten nicht mehr messen, außer die User erlauben es explizit. Die Browser-Betreiber - also wieder US-Konzerne wie Google oder Apple - hätten aber natürlich weiterhin dieses Know-How über das User-Verhalten und können es vermarkten.

Die Medienbranche sieht sich dadurch im Wettbewerbsnachteil und versucht deshalb gerade, Einfluss auf Medienminister Gernot Blümel zu nehmen, der dafür während der EU-Ratspräsidentschaft zuständig ist. Werbeprofis hoffen nun, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dieses Vorhaben zu verhindern - oder zumindest erfolgreich zu verschleppen.

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