Ein gelbes Maßband ist um einen Apfel gewickelt.

APA/HERBERT NEUBAUER

Reichweiten-Messung

Die Vermessung der Werbe-Milliarden

5,5 Milliarden Euro haben die Brutto-Werbeausgaben in Österreich 2017 laut Focus Research ausgemacht. Ein großer Kuchen, um den alle Medien kämpfen. Und jede Mediengattung – ob Fernsehen, Radio, Print oder Online – kämpft auch für sich. Zu diesem Zweck wird mit völlig unterschiedlichen Methoden die Reichweite von Medien erhoben. Und es wollen nicht immer alle alles ganz genau wissen.

Die Kritiker sagen: Mit der Digitalisierung hätten wir Werkzeuge in der Hand, die äußerst präzise messen können, wie viele Menschen ein bestimmtes Medium nutzen. Doch die Medienhäuser halten an den guten alten Befragungen fest und am Teletest, der über ein repräsentatives Panel – eine ausgewählte Gruppe von Probanden – funktioniert. Der Medienberater Peter Plaikner sagt: "Alle derzeit angewandten Modelle sind Auslaufmodelle." Es werde nämlich bei weitem nicht alles gemessen, was gemessen werden könnte.

Die Werbebranche will es genauer

Plaikner spricht damit der Werbebranche aus der Seele. Peter Lammerhuber, CEO der GroupM Austria, ein weltweiter Verbund von Mediaagenturen: "Logischerweise will man als werbetreibender Kunde wissen, wo bekomme ich wie viel für mein Geld." Und Walter Zinggl, Chef des Fernsehvermarkters IP Österreich und Obmann der Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT), sagt: "Ein Werbetreibender will immer alles möglichst genau wissen, denn er gibt viel Geld aus, um seine Botschaft an die richtige Zielgruppe zu bringen."

Walter Zinggl, Obmann der Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT).

IP Österreich

Strichcode der Zeitungen scannen

Lammerhuber berichtet von einem Projekt, das schon fünfzehn Jahre zurückliegt: Mediaagenturen haben organisiert, dass Zeitungsleser vor Beginn und dann wieder am Ende der Lektüre den Strichcode auf dem Zeitungsexemplar fotografieren und damit die Lesedauer dokumentieren. Allein das hat schon genauere Ergebnisse als die Mediaanalyse gebracht, die nur aussagen kann, ob jemand eine Zeitung in der Hand gehabt hat, um darin zu lesen oder zu blättern – wie es in der Einstiegsfrage heißt. "Wir von den Agenturen wünschen uns schon seit Jahren modernere Messungen. Es gibt sichere bessere Alternativen", so Lammerhuber.

Porträt Sibylle Callagy

Sibylle Callagy, Präsidentin der Österreichischen Auflagenkontrolle (ÖAK).

Mediaanalyse unter Dauerkritik

Die Kritik trifft insbesondere die Mediaanalyse (MA). Das ist eine Befragung von 15.000 Menschen im Laufe eines Jahres, die zwei Millionen Euro kostet und von den Tages-, Wochen- und Monatszeitungen finanziert wird - an sich ein riesiges Sample, das verlässliche Ergebnisse liefert. Die sagen nur nichts darüber aus, was denn in der Zeitung gelesen wurde – ob Artikel oder Inserate - und wie lange man sie in der Hand gehabt hat. Munition für die Kritiker liefert immer wieder auch die Österreichische Auflagenkontrolle (ÖAK), deren Ergebnisse manchmal überhaupt nicht mit jenen der MA zusammenpassen.

Rätsel um Auflage und Reichweite

Die ÖAK dokumentiert die Auflagenzahlen, die die Zeitungen melden, und überprüft das. Verkaufte Auflage, verbreitete Auflage – alles wird gezählt, auch Gratisexemplare. Auffallend sind die hohen Auflagen am Wochenende, wenn es Kaufzeitungen auch in den Selbstbedienungstaschen gibt. So wie Gratis-Kompaktausgaben mancher Zeitungen ist auch das eine Maßnahme zur Reichweiten-Steigerung. Für ÖAK-Präsidentin Sibylle Callagy ist das kein Problem: "Das ist nicht unstatthaft, das ist Marketing."

Die Auflagenkontrolle misst ganz klar die Verbreitung gedruckter Zeitungen, in Sachen Mediaanalyse gibt es da Zweifel. Auch bei Callagy: "Gefragt wird nach dem Print-Produkt, aber der Mensch hat nur ein Hirn." Daher werde oft nicht zwischen Online und Print unterschieden.

"Print und Online verschwimmen"

Das wiederum ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Mediaanalyse. Medienberater Peter Plaikner macht zum Beispiel stutzig, dass "Der Standard" von 2016 auf 2017 in der MA 90.000 Leser und Leserinnen gewonnen hat, während die Auflagenkontrolle keine Bewegung erkennen lasse – ergibt 6,5 Leser pro Ausgabe. "Da kann etwas nicht stimmen", sagt Plaikner.

Auch Wolfgang Fellner, Chef der Mediengruppe oe24, sieht Ungereimtheiten – vor allem sein eigenes Gratisblatt betreffend. Fellner ist deswegen seit langem im Clinch mit der Mediaanalyse, auch er vermutet eine unzulässige Vermischung von Print und Online. Deshalb hat Fellner seine Gratiszeitung jetzt von "Österreich" auf oe24 umbenannt, so heißen sein Onlineportal und sein Fernsehen.

Porträt Wolfgang Fellner. Er hat ein Kopfmikro umgeschnallt und spricht gerade.

Wolfgang Fellner.

APA/GEORG HOCHMUTH

Sechseinhalb Leser und ein "Standard"

Petra Roschitz, die Geschäftsführerin des Vereins Mediaanalyse, weist die Kritik zurück. Es werde ganz dezidiert nach den Print-Produkten gefragt. Und konkret "Der Standard" habe immer schon viele Leser pro Ausgabe gehabt. "Es kommt nicht nur auf die verbreitete Anzahl von Zeitungen an, sondern auch auf die Art der Verbreitung – etwa in Studentenheimen und Kaffeehäusern", sagt Roschitz. Auch einen Push-Effekt der turbulenten Innenpolitik hält sie bei der liberalen Leserschaft des "Standard" für möglich.

Befragungsmethode "State of the Art"

Grundsätzlich sei die Befragungsmethode der Mediaanalyse auf der Höhe der Zeit, betont Roschitz: "So wie wir die Print-Reichweiten erheben, geschieht das in ganz Europa. Print wird mittels Befragung erhoben, mit web-basierten Fragebögen. Das ist State of the Art." Medienforscherin Gabriele Holzleitner von der Mediaprint bekräftigt das. Sie meint, dass durch Scannen des Leseverhaltens in einem Panel - also einer repräsentativ zusammengestellten Gruppe von Probanden - das wahre Publikum nicht erfasst würde. "Es gibt Lesergruppen, die bei so einem Panel nie mitmachen würden", so Holzleitner.

Messung würde Reichweite kosten

Eine andere Wahrheit ist: Genauere Messung würde die Zeitungen Reichweite kosten, und das wäre ein weiterer Nachteil für die unter Druck stehende Printbranche gegenüber den anderen Mediengattungen. Holt doch TV am Werbemarkt immer mehr auf, und auch Online wächst stetig. Werbeprofi Peter Lammerhuber schätzt die Verluste für die Zeitungen bei exakter Messung auf etwa ein Drittel: "Reichweite zu verlieren, ist für niemanden lustig - wo doch Reichweite quasi die Währungseinheit ist, mit der Leistung verrechnet wird."

"Gleich richtig und gleich falsch"

Da werde lieber an einer Messmethode festgehalten, die ungenauer ist. Lammerhuber beruft sich auf die Erfahrungen bei der Einführung des Teletest, wo es für die Fernsehsender Reichweitenverluste in ähnlicher Höhe gegeben habe. Auch beim Projekt Mediaserver, der vergleichbare Daten von TV, Radio, Print und online liefern sollte, haben die Zeitungen schlechter abgeschnitten und sind deshalb ausgestiegen. Wertlos seien die Zahlen der Mediaanalyse deshalb nicht, so Lammerhuber: Weil sie für alle gleich erhoben werden, seien die Zahlen für alle gleich richtig und gleich falsch.

Bedenken gegen neue Messmethoden haben nicht nur Zeitungsleute, auch Vertreter anderer Mediengattungen wie Radio und Fernsehen sind skeptisch – obwohl das Messen gerade beim Teletest seit vielen Jahren sehr gut funktioniert.

Teletest: Rückgrat der TV-Messung

Der Teletest, das ist für AGTT-Obmann Walter Zinggl das Rückgrat der Messung der TV-Reichweiten – und das werde er auch bleiben. Das Panel umfasst 1700 Haushalte, insgesamt 3500 Personen - deren Fernsehsignal läuft über eine Box. Um fernschauen zu können, muss die Box aktiviert werden, jedes Familienmitglied hat eine eigene Anmeldetaste. Die Box misst dann, welches Programm wie lange geschaut wird. Sehr aufwändig das alles, Kostenpunkt: 6 Millionen Euro im Jahr, von allen teilnehmenden Sendern gemeinsam getragen. Abgewickelt wird der Teletest vom Marktforschungsinstitut GfK, völlig unabhängig von den Sendern. Ruft ein Teilnehmer irrtümlich beim ORF an, um sich in den Urlaub abzumelden, dann fliegt er aus dem Sample, und ein neuer passender Haushalt muss gesucht werden.

Karl Amon.

Ergebnisse am nächsten Tag um neun

Der Teletest liefert ziemlich genaue Ergebnisse, die die Sender am nächsten Tag um neun Uhr auf dem Schirm haben – sie können also sehr rasch sehen, welche Sendung ein Erfolg war und welche ein Flop. Da kann man dann im Fall des Falles auch sehr rasch reagieren, was bei Befragungsergebnissen, die viertel- oder halbjährlich veröffentlicht werden, schwieriger ist. Dennoch schauen sich die Verantwortlichen vom Teletest Innovationen an, wie sie etwa die Firma Mediatest des früheren ORF-Radiodirektors Karl Amon anbietet.

Wenn die Armbanduhr mit-glotzt

Eine Uhr am Handgelenk von Testpersonen erkennt Codes, die von Programmen mitgesendet werden, zeichnet das auf und gleicht das Aufgezeichnete mit dem Gesamtprogramm in Echtzeit ab. Amon möchte nicht mehr und nicht weniger, als die Messung des TV- aber auch Radiokonsums revolutionieren: "Unser System erkennt, wenn jemand während einer Musiknummer aus dem Programm aussteigt oder während einer Fernsehshow das Programm wechselt. Und wir wissen auch, wie viele Österreicher zu Hause fernsehen und wie viele mobil." Das funktioniere genauso gut für Radio, das ja schon traditionell – nämlich im Auto – sehr stark mobil genutzt wird.

Radio setzt auf 24.000-er Sample

Die Radionutzung wird ebenso traditionell durch den Radiotest erhoben - eine Umfrage unter 24.000 repräsentativ ausgewählten Personen. Ein äußerst valides Sample, das es möglich macht, Viertelstunden-Reichweiten auszuweisen. Mit Ausnahme der Schweiz, wo die Radio-Reichweiten technisch gemessen werden, sei das europäischer Standard, betont Oliver Böhm, Chef des Vermarkters ORF Enterprise: "Die Methode ist State of the Art, ich sehe keinen Grund, etwas zu ändern. Dass jetzt zwei Institute die Befragung durchführen, sichert die Qualität zusätzlich."

Affäre um den Radiotest überstanden

Vor zwei Jahren sind Manipulationen durch Mitarbeiter des Marktforschungsinstituts GfK, das den Radiotest durchführt, bekannt geworden. An sich eine Katastrophe für die Radiobranche, weil es da um Vertrauen in die eigene Währung geht. Es ist für die Branche aber glimpflich ausgegangen. Die GfK musste Schadenersatz an die wegen der Manipulationen benachteiligten Sender zahlen, der Radiotest wurde neu aufgesetzt. Als Kontrollinstanz ist jetzt eben ein zweites Institut dabei. Technische Messung wie in der Schweiz wäre möglich, ist aber noch kein Thema, sagt Böhm: "Das wäre viel komplexer und auch viel teurer - wer soll das bezahlen?" Der Radiotest kostet rund eine Million Euro, eine Messung würde ein Vielfaches kosten.

Facebook und Google als Paradoxon

Und das bei dem schmalen Anteil von sechs Prozent, den Radio am gesamten Kuchen der Werbe-Spendings hat. Print ist traditionell stark und liegt immer noch bei 50 Prozent Werbeanteil, der aber in den vergangenen Jahren beständig gesunken ist. Fernsehen hat gleichzeitig deutlich zugelegt und hat jetzt einen Anteil von rund 30 Prozent. Online wächst ebenfalls, wobei ein großer Anteil an Facebook und Google geht, die sich seriöser Reichweitenmessung entziehen. Dass die Internet-Riesen viele Werbemillionen kassieren, obwohl sie keine überprüfbaren Daten über ihre Reichweiten liefern, sondern diese einfach nur behaupten – das ist ein paradoxes Faktum in dieser Geschichte.

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