Heißluftballon (Aussschnitt)

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"Septembergewitter" von Friedo Lampe

Als "ewiger Geheimtipp der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts" gilt Friedo Lampe. Nun liegen eine Neuauflage des Romans "Septembergewitter" sowie erstmals "Briefe und Zeugnisse" des Autors vor.

Friedo Lampe ist 1899 in Bremen geboren und 1945 in Berlin unter eigenartigen Umständen verstorben (er wurde irrtümlich von einer russischen Streife erschossen). Sein schmales, avantgardistisches Werk fällt ganz in die Zeit des "Dritten Reichs", dem er gänzlich fern stand.

Heißluftballon auf Buchcover

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Sein erstes Buch "Am Rande der Nacht" erschien Ende 1933 und wurde von den Nationalsozialisten sogleich verboten. Seine gesamte Korrespondenz, fast gänzlich unbekannte kritische Schriften Lampes und eine Sammlung von Zeugnissen seiner Freunde hat der Literaturwissenschaftler Thomas Ehrsam nun im Wallstein Verlag herausgegeben. Außerdem ist im Milena Verlag eine Neuauflage seines Romans "Septembergewitter" erschienen.

Ein schönes Cover-Bild

Ein Freiluftballon in Pastelltönen, vor Wolkentürmen schwebend und von ein paar verhaltenden Sonnenstrahlen auf seiner Fahrt begleitet. Und unter diesem heiter anmutenden Sujet der Titel "Septembergewitter". Noch ist von Blitzen und Sturm nicht viel zu sehen, allein der sich dunkler färbende Himmel warnt vor drohendem Unheil. Nichts ist, wie es scheint: Das könnte das Motto sein für ein Buch, das mehr als achtzig Jahre nach der ersten Auflage auf eine Wiederentdeckung wartet. Sehr zu Recht. Eine Ballonfahrt bildet den erzählerischen Rahmen des schmalen Bandes.

Vater und Tochter steigen in Osnabrück in die Lüfte, um bis an die dänische Küste zu treiben. So sie denn gelingt, diese Reise durch den Norden Deutschlands. Inmitten friedlicher Landstriche taucht eine alte Stadt auf, wie sie der Autor lapidar nennt. Hier hält Lampe an, um dem Schicksal etlicher ihrer Bewohner nachzugehen. Es wird rasch klar, dass die vermeintliche Idylle bürgerlicher Wohlanständigkeit trügt: In eben jenem Park, wo eine Musikkapelle Operettenmelodien zum Besten gibt und damit den Kaffeeklatsch bei Käsesahne und Schwarzwälder-Kirsch umrahmt, ist vor zwei Tagen eine junge Frau umgebracht worden. Nun fahndet man nach dem Täter. Und überhaupt: Hinter den Fassaden des properen Städtchens wohnen Dramen, die Friedo Lampe auf die Bühne holt, oder besser: vor die Linse.

Friedo Lampe

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Friedo Lampe (1899 bis 1945)

Kino im Kopf

"Septembergewitter" spiegelt einen sehr filmischen Zugang zur Welt, mit kurzen Sequenzen und schnellen Schnitten und Montagen. Oft genügen ein paar wenige Sätze, um das Setting und das Wesen der Figuren einzufangen. Die einzelnen Episoden prallen übergangslos und meist kommentarlos aufeinander und erzeugen eine fiebrige und darin fast gespenstische Atmosphäre.

Es ist dies eine vom damaligen Erfolg der Kinos inspirierte Erzähltechnik, die an John Dos Passos und Alfred Döblin erinnert. Knappe, nur lose verbundene Szenen wolle er entwerfen, hatte Friedo Lampe in einem frühen Brief gestanden, in malerisch-lyrischer Manier. Damit suchte er zudem noch an die Schreibweisen des von ihm sehr geschätzten Hugo von Hofmannsthal anzuknüpfen. Auf diese Weise schuf er eine sehr eigenwillige Poetologie, eine Form der magischen Fantastik.

"Ein dichtes Gewebe eines Weltausschnitts" Thomas Ehrsam

Unruhe liegt in der Luft

Schwarz, dumpf, schwül, das sind Adjektive, die in "Septembergewitter" leitmotivisch wiederkehren. Ein Unwetter kündigt sich an, schon Stunden vorher meint man das Donnern und Blitzen zu erahnen. Doch der Roman greift über das eigentliche Naturschauspiel hinaus ins Metaphorische: Der Autor sucht das Buch aus der unmittelbaren Gegenwart wegzurücken und siedelt es in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg an. Wer genau hinhört, der spürt aber, wie subversiv er auf die Machtergreifung Hitlers und das Erstarken des Faschismus reagiert. Sein 1934 erschienener Erstling "Am Rande der Nacht" wurde ja von den Nazis beschlagnahmt, die Anklänge an Homoerotik und Libertinage und das Auftreten eines Schwarzen galten als skandalös und passten nicht ins Bild des edlen deutschen Volkes.

Aus sittlichen Gründen verboten

Entsprechend vorsichtiger gab sich Lampe im "Septembergewitter" - zumindest vordergründig. Wirklich explizite Verstöße gegen die Leitlinien der Reichsschrifttumskammer sind darin nicht nachweisbar, zumal sich der Roman als historische Reminiszenz an die Ära vor 1914 tarnt. Lampe ist äußerst subtil zugange - und evoziert damit jenes beklemmende Lebensgefühl, das auf eine elementare Krise hinsteuert. Die vermeintlichen Sicherheiten sind zu fragil, um die herbeiziehende Katastrophe zu stoppen. Ein Krieg müsse ausbrechen, meint der Leutnant im Roman, ein reinigender Sturm solle alles Alte, Muffige hinwegfegen und für einen Aufbruch in eine gesunde Zukunft sorgen. Besonders die jungen Burschen orientieren sich Richtung Fehde und Kampf: mit Mutproben, dem Beschwören von Blutsbruderschaft, Ordnung und Hierarchie und mit dem romantisch-verklärten Eid auf sogenannte Tugenden wie Tapferkeit und Treue.

Friedo Lampe, selbst gehbehindert und auch sonst so gar nicht dem Ideal der Nazis entsprechend, zeigt seinen klaren Blick: Aus dem bürgerlichen Dünkel und dem Untertanendenken entwickelt sich die Sehnsucht nach dem Erstarken der Gesellschaft unter strenger Führung. Der Fesselballon, den der Autor in die Lüfte entlassen hat, erreicht sein Ziel. Der Roman "Septembergewitter" hingegen segelte 1937, als er erstmals erschien, viel zu schnell davon und wurde kaum wahrgenommen. Die Neuauflage könnte dies ändern - es wäre zumindest sehr zu hoffen.

Service

Friedo Lampe, "Septembergewitter", Milena Verlag
Thomas Ehrsam (Hrsg.), "Friedo Lampe: Briefe und Zeugnisse", Wallstein Verlag

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