Die Athener U-Bahnstation Victoria

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Ambiente

Unterwegs im Athen von Krimi-Autor Petros Markaris

Seit vielen Jahrzehnten lebt der in Istanbul geborene griechische Schriftsteller Petros Markaris, im Athener Stadtteil Kypseli, dem Viertel des griechischen Mittelstandes, das seit einigen Jahren jenseits des Patission Boulevard - durch die vielen afrikanischen Zuwanderer - sein Gesicht zu verändern beginnt. Kypseli liegt zudem an der Metro-Linie 1, die - auf den Schienen der alten Stadtbahn, der sogenannten "Ilektrikós" quer durch Athen führt.

Damals waren die ersten Waggons aus Holz und strahlten den Charme alter Eisenbahnen aus: die Sitze aus Leder, bequem und elegant zugleich. Im Gepäckwagen konnten voluminöse Schrankkoffer transportiert werden. Im Jahr 1926 wurde die Strecke Von Thiseio im Zentrum der Stadt bis Kifissia ausgedehnt - die legendäre "Elektrische" entstand. Petros Markaris fuhr Mitte der 1960er Jahre auf der Linie 1 noch hin und wieder mit einem der alten, hölzernen Waggons.

Alter Mann in der U.Bahn

"Ob der Fahrer des dampfbetriebenen Zuges, der am 27. Februar 1869 seine Jungfernfahrt von Thiseio nach Piräus absolvierte, wohl ahnte, dass er den Athenern dasjenige öffentliche Verkehrsmittel vorführte, das ihnen am meisten ans Herz wachsen würde?"

aus Petros Markaris: "Quer durch Athen", Diogenes Verlag

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Diese Fahrt mit der "Ilektrikós" vom Hafen in Piräus bis ins noble Kifissía, wo einst das Königshaus seine Sommerresidenz hatte, dauert rund eine Stunde und passiert 24 Stationen. Die meisten davon befinden sich nach wie vor über der Erde.

Ab 1963 begannen die Bohrungen für die U-Bahn, die allerdings erst 37 Jahre später im Jahr 2000 den Betrieb aufnahm. Jetzt verläuft die Metro Nummer 1 teilweise unterirdisch auf der Trasse der "Ilektrikós". Neben der Haltestelle in Piräus, die mit ihrer eleganten hohen, beinah luftigen Stahlkonstruktion die Assoziation " Kathedrale der Fortbewegung" aufkommen lässt, verfügen nur noch Omonoia, Monastiraki, Viktoria sowie die Endstation Kifissía über eine ansprechende architektonische Patina. Die meisten anderen Stationsgebäude wurden vor den Olympischen Spielen 2004 renoviert und modernisiert. Sie haben ihr altes Flair längst verloren, wie manche Athener Stadtteile auch.

"Der Omonia-Platz und sein Umfeld hingegen waren schon immer das Athener Geschäftszentrum."

aus Petros Markaris: "Quer durch Athen", Diogenes Verlag

Athen zeichnet sich durch einen gewagten Stilmix aus: neben den antiken Stätten wurden jüngst moderne Glaspaläste - wie das neue Akropolis-Museum - hochgezogen, neben kleinen orthodoxen Kirchen stehen Büroklötze aus Beton und überall sieht man die sich nach oben leicht verjüngenden, weißen Wohnblocks mit Balkonen und Dach-Terrassen.

Athen, die Weiße - Blick von der Akropolis mit dem Akropolismuseum von Bernard Tschumi im Vordergrund

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In Kallithea wurde - inmitten Athens Peripherie - erst kürzlich die neue architektonische Landmark der griechischen Hauptstadt eröffnet, das Stavros Niarchos Kulturzentrum, gespendet von der gleichnamigen Stiftung. Diese architektonische Behauptung aus Glas, Stahl und Olivenhainen auf dem öffentlich begehbaren Dachgarten beherbergt die griechische Nationalbibliothek, die Oper mit mehreren Sälen und ein Kunstmuseum.

Von der Athener Bevölkerung und von Touristen ist der Renzo Piano-Bau gleichermaßen als Flaniermeile und Erholungszone angenommen worden. Wobei Petros Markaris - Autor sozialkritischer Kriminalromane - solch singulären Projekten nicht allzu viel abgewinnen kann. Petros Markaris zieht seine Kreise am liebsten im alten Athen; nicht weit von der Metro- Station Monastiraki. Es sei zwar touristisch, immerhin gelte Monastiraki als "Tor zur Plaka" am Fuße der Akropolis, verfüge aber immer noch über alte Bausubstanz, nette Lokale und einen gewissen ursprünglichen Charme.

  • Blick zur Decke in der Athener Oper

    Die Decke der neuen Athener Oper im Stavros-Niarchos-Zentrum

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  • Leere Bücherregale

    Die Bücherregale der neuen Nationalbibliothek vor ihrer Bestückung

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  • Blick auf Meer

    Blick vom Dach des Stavros-Niarchos-Zentrums auf Piräus

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  • Blick über Athen

    Der gesamte Gebäudekomplex des Stavros-Niarchos-Zentrums verschwindet unter einem sanft ansteigenden Park

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Eine ähnliche Mischung aus teilweise heruntergekommenen Gebäuden, Kulturoasen, jeder Menge Grafites an den Hauswänden, Altwarenläden und Straßenmärkten, meint Petros Markaris, ist im Viertel Exarchia zu finden. In jenem Stadtteil wo vor Jahren die studentischen Proteste beim Polytechnikum ihren Ausgang genommen haben. Exarchia - ein früher schmuckes Viertel, das dem Verfall preisgegeben scheint und doch nur Objekt der Begierde von Grundstück-Spekulanten ist.

Kollonaden mit Graffiti

Die ehemals schicken Kollonaden in Exarchia

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Petros Markaris ist bekannt für seine pointierte Haltung allen Bereichen der Gesellschaft gegenüber und für seine Hassliebe zu Athen. Eigentlich in Istanbul geboren, dort an einem österreichischen Gymnasium erzogen, an der Wiener Wirtschaftsuniversität ausgebildet, entschied er sich in den 1960er Jahren seinen Hauptwohnsitz in der Heimat seiner griechischen Mutter aufzuschlagen. Sein kritischer Blick registrierte von Anfang an die Veränderungen in Athen und sein scharfer Geist analysiert.

Markthalle

Hier, um die zentrale Markthalle herum liegt der einzige Ort in Athen, wo ich die Düfte meiner Kinder- und Jugendjahre wiederfinde.

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Grundstück-Spekulation und Korruption sind Themen, die in Petros Markaris‘ Romanen immer wieder zu Sprache kommen. Aber auch andere Phänomene des griechischen Alltags - die Wirtschafts-Krise, der Sensationsjournalismus, die soziale Schere und der alte - aus der Zeit des griechischen Bürgerkriegs immer noch schwelende Konflikt zwischen den Linken und den Konservativen, fließen in seine Kriminalromane um Kommissar Charitos ein. Auch sein - im Juli 2018 erschienener - Roman "Drei Grazien" setzt sich mit einem aktuellen Problem auseinander: mit den Nöten der griechischen Universitäten und der Professoren, die unter zunehmenden Druck stehen.

Hausfassaden mit Graffitis

Die Akademie der Bildenden Künste ist in einer ehemaligen Textilfabrik untergebracht. Nächste U-Bahnstation: Tavros

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Kommissar Kostas Charitos ermittelt im Roman "Die drei Grazien" bereits zum elften Mal, quält sich durch die Hölle des Athener Verkehrs, um an den jeweiligen Tatort zu gelangen, streitet mit seiner Frau Ariani und hofft für die Tochter auf eine bessere Zukunft - eigentlich wie ein ganz durchschnittlicher Grieche. Kostas Charitos ist, so Petros Markaris, ein typischer Kleinbürger, mit Vorurteilen zwar, aber zutiefst anständig und mit einer großen Sehnsucht nach einem im Verschwinden begriffenen Wertesystem.

Petros Markaris

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Der Schriftsteller Petros Markaris in seinem Athener Arbeitszimmer

Den Verlust eines Wertesystems vermisst Autor Petros Markaris offensichtlich auch. Der Vormarsch des Neoliberalismus und der Mangel an solidarischem Handeln machen ihn nicht gerade optimistisch, das gibt er unumwunden zu. Dagegen schreibt er an, warnt vor den Folgen. Die soziale Kälte macht ihm zu schaffen, vielleicht hat er sich einen Rückzugspunkt im Viertel Kypseli geschaffen. Hier lebt Petros Markaris seit Jahrzehnten im dritte Stock eines gutbürgerlichen Hauses in einer verkehrsberuhigten Zone. Vogelgezwitscher von der Gasse dringt in sein Arbeitszimmer. In der wohlbestückten Bibliothek bewahrt er einige Erinnerungsstücke auf, z.B. an seinen verstorbenen Freund den Regisseur Theo Angelopoulos, mit dem er etliche Filmdrehbücher verfasste. Ein Stück Holz, das er bei Dreharbeiten fand, liegt zwischen den Büchern.

Bücher von Petros Markaris

  • "Drei Grazien - der 11, Fall für Kostas Charitos"¸ übersetzt aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag
  • "Quer durch Athen", übersetzt aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag
  • "Wiederholungstäter. Ein Leben zwischen Istanbul, Wien und Athen" übersetzt aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag
U-Bahnstation

Ano Patisia - hier steigt eine von Markaris' Romanfiguren aus, wenn sie nach Hause geht: Lambros Sissis

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