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Die Katze und ihr General

Der neue Roman der georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili.

Die Schriftstellerin Nino Haratischwili, die 1983 in Tbilissi geboren wurde und seit 2003 in Hamburg lebt, ist ein Phänomen. Als Jugendliche hat sie in Georgien Deutsch gelernt. Und als wäre es ein Kinderspiel, entschloss sie sich nach ihrer Übersiedlung in den Westen, ihre Romane und Theaterstücke fortan in der fremden Sprache zu verfassen. Die hiesige Literaturszene hat sie so im Sturm erobert. Ihr mittlerweile vierter Roman "Die Katze und ihr General" steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Unkontrollierbarer Schreibprozess

Bereits ihr Debüt "Juja" aus dem Jahr 2010 wurde ausgezeichnet. Vier Jahre später wurde Nino Haratischwili mit ihrer großen georgischen und europäischen Familiensaga, dem mehr als eintausend Seiten umfassenden Roman "Das achte Leben (Für Brilka)" berühmt. Ihr Arbeitspensum ist enorm. Früher habe sie am liebsten nachts geschrieben, mit ihrer kleinen Tochter sei das schwieriger geworden, sagt sie. Nicht jedoch, ohne ein Trotzdem anzufügen: "Ich will Schreiben nie so domestizieren, dass es für mich wie 'zur Arbeit gehen' ist. Denn ich möchte diesen - ich nenne das jetzt mal sehr pathetisch - 'sakralen Raum' und das Unkontrollierbare des Prozesses wahren. Ich möchte das nicht zähmen."

Auch "Die Katze und der General" ist kein domestiziertes, sondern ein erzählerisch überbordendes Buch. Die epische Ausführlichkeit scheint geradezu in der Natur dieser Autorin zu liegen. Der Roman beginnt im Jahr 1994 in einem kleinen tschetschenischen Bergdorf. Die Menschen hier leben nach alter Sitte und Tradition. Es ist eine archaische, von strengen Gesetzen bestimmte Welt. Der 17-jährigen Nura ist diese Welt zu eng, sie will nicht das vorbestimmte Leben ihrer Vorfahren wiederholen, sich nicht als Frau einem Ehemann unterordnen, gehorsam und duldsam sein.

Nach einem realen Vorbild

Die junge Frau ist entschlossen, für ihre Freiheit zu kämpfen, sich auch gegen ihre Sippe zu stellen. Doch dann kommt russisches Militär und mit ihm ein brutaler Krieg. Nura wird von einer Gruppe von Soldaten gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Nino Haratischwili hat sich das extreme Geschehen nicht ausgedacht. Wer über die Grausamkeit und die irre Logik des Krieges im Gefolge des sowjetischen Zusammenbruchs schreiben will, der findet dafür kaum ein besseres Terrain als Tschetschenien.

"Die Menschen sind dermaßen traumatisiert, dass für sie Krieg besser aushaltbar ist, als jede Form von Normalität"
Nino Haratischwili

Buchumschläge

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Für alle Soldaten gilt das nicht. Der junge Alexander Orlow ist für den Krieg denkbar ungeeignet. Er ist ein Schöngeist, der sich lange dagegen gewehrt hat, als Rekrut einberufen zu werden. Doch auch der junge Soldat, der sich vorgenommen hat, irgendwie der Kriegshölle zu entkommen, wird unfreiwillig in den Mord an dem Mädchen verwickelt. In der Folge versucht er zunächst den Vorfall vor ein Gericht zu bringen, damit er selbst und seine Mittäter bestraft werden. Als Orlow jedoch die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens begreifen muss, lässt er sich auf einen Deal ein. Die faule Vereinbarung verhilft ihm zu einer märchenhaften Wandlung und traumwandlerischen Karriere. Aus dem zaghaften wird ein unnachgiebiger Mann, der rasch zu einem der reichsten und mächtigsten Oligarchen in Russland aufsteigt und nur noch der General genannt wird. Dessen Ziel aber bleibt es, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.

Falsche Fährten

Nino Haratischwili erzählt diesen Thriller um Schuld und Sühne in zeitlichen Sprüngen und wechselweise aus unterschiedlichen Perspektiven. Rund um den im Zentrum stehenden General hat sie ein Ensemble unterschiedlicher Figuren versammelt. Zwei stechen heraus: Der deutsche Journalist Onno Bender, der mit dem unschönen Beinamen Krähe leben muss, hat sich an Orlows Fersen geheftet, weil er mehr über dessen märchenhaften Aufstieg in Erfahrung bringen will. Zur zentralen Figur neben dem General aber wird die Schauspielerin Sesili, die schon als Kind wegen ihrer Behändigkeit nur Katze genannt wird. Die junge Georgierin, die in Berlin lebt, gleicht der ermordeten Nura wie ein Zwilling. Sie soll dem General deshalb dabei helfen, die Täter von einst zur finalen Abrechnung noch einmal in den tschetschenischen Bergen zusammenzubringen.

Nino Haratischwili: "Was mich interessiert hat, war: Was passiert, wenn man Menschen in rechtsfreie Räume schickt? Was sind das für Mechanismen? Sind alle Menschen gleich?"

Kann jeder potenziell zu einem Mörder werden?

Die Autorin spielt gekonnt und ausgiebig mit den Mitteln der Suspense. Immer wieder werden die Leser - wie auch die handelnden Figuren - auf falsche Fährten gelockt. Doch der Roman, der von seelischen Verwüstungen und dem verzweifelten Versuch der Wiedergutmachung erzählt, steuert nicht nur auf eine finale Abrechnung zu. "Die Katze und der General" ist auch ein Buch über das schwierige Ankommen in einem neuen Leben, in einem anderen Land.

Service

Nino Haratischwili, "Die Katze und der General", Frankfurter Verlagsanstalt

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