Burghart Klaußner

AFP/DANIEL ROLAND

Roman

"Vor dem Anfang" von Burghart Klaußner

Der Debütroman des Schauspielers ist ganz und gar gelungen.

Burghart Klaußner, derzeit in Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" am Wiener Burgtheater zu sehen und bekannt aus Filmen wie "Das weiße Band" und "Der Staat gegen Fritz Bauer", hat eine Geschichte vom Überleben geschrieben. "Vor dem Anfang" ist ein kluger und atmosphärisch dichter Roman, der eine apokalyptische Zeit zum Leben erweckt und in dem dennoch immer Optimismus mitschwingt.

Mission in Berlin

Den Anstoß, einen Roman zu schreiben, gab Burghart Klaußner die ihm befreundete Literaturagentin Karin Graf. Sie drängte ihn dazu, seinen Wunsch zu schreiben endlich in die Tat umzusetzen. Herausgekommen ist ein mit 173 Seiten recht schmales Büchlein, das es freilich in sich hat. Im Mittelpunkt von "Vor dem Anfang" stehen zwei Männer, die sich in den letzten Kriegstagen ihren Weg durch das zerbombte Berlin bahnen müssen.

Zwei Männer, die es tatsächlich gegeben hat. Einer der beiden hat Burghart Klaußner seine Geschichte vor langer Zeit erzählt und den Autor so zu seinem Roman inspiriert. Schultz und Fritz heißen diese beiden sehr unterschiedlichen Charaktere. Schultz ist vorsichtig, grüblerisch und zäh, das genaue Gegenteil des charmanten Draufgängers Fritz.

Nachdenklichkeit war seine Stärke nicht

Fritz hatte das gemacht, was er sein Leben lang am besten konnte: ausweichen, sich maskieren, sich rausreden und mit unheimlicher Geschicklichkeit seinen Vorteil suchen. Er war helle, aber nicht zu sehr, Nachdenklichkeit war seine Stärke nicht, und trotz Diabetes konnte er saufen, dass neben ihm bald keiner mehr stand.

Mit viel Glück haben Fritz und Schultz den Krieg bis jetzt überlebt. Nun erhalten die beiden den Auftrag, eine Geldkassette zum Luftfahrtministerium zu bringen. Keine ungefährliche Sache, denn in den zerbombten Straßen herrscht Anarchie. Befehlsstrukturen sind brüchig geworden, wer kann, ergreift die Flucht, und Klaußner versetzt sich mit viel Einfühlungsvermögen in die Atmosphäre einer Stadt kurz vor dem Fall, in der keiner dem anderen vertraut und der kleinste Fehler tödlich sein kann.

Buchumschlag

KIEPENHEUER & WITSCH

Gefahr im Grunewald

Was Burghart Klaußner geschrieben hat, ist spannend wie ein Krimi: Fritz und Schultz laufen einer Feldgendarmerie in die Arme, müssen sich wegen eines Fliegeralarms in einen Bunker retten und werden von der Angst gepeinigt, dass die Geldkassette womöglich leer sein könnte - was ihre sofortige Erschießung zur Folge hätte. Dann verschwindet Schultz mitsamt der Kassette und Fritz beschließt, sich zum Wannsee durchzuschlagen. Denn dort liegt sein Segelboot, die "Traute", wo er Schultz finden kann.

Der beschauliche Grunewald rund um den Wannsee wird in diesem Roman zu einem höchst gefährlichen Ort, wo Fritz bei der Begegnung mit einer Feldjägereinheit dem Tod gerade noch von der Schippe springen kann. Es ist ein wilder Ritt durch eine Trümmerwüste, eine Odyssee durch eine früher vertraute Stadt, die fremd und gefährlich geworden ist. Dem setzt Klaußner Fritz‘ Erinnerungen entgegen: an seine Familie, seine Frau und seinen Sohn, von denen er nicht weiß, ob sie noch am Leben sind, an seine Gaststätte, an unbeschwerte Zeiten.

Ein gelungenenes Debüt

Er spürte ein lange unterdrücktes Gefühl von Sehnsucht nach den Seinen, nach Normalität. Nach Zeit, die man nicht messen, nicht einteilen musste, die man nach Lust und Laune verbrauchen konnte. Und nach Nähe, die man geschenkt bekam.

Dieser Gegensatz zwischen einer unberechenbaren Gegenwart, in der man stets auf der Hut sein muss, und den Erinnerungen an die vom Krieg zerstörte friedliche Vergangenheit, verleiht Burghart Klaußners eingängiger Prosa eine zusätzliche Dimension. Sein Debüt als Schriftsteller ist ganz und gar gelungen.

Service

Burghart Klaußner, "Vor dem Anfang", Kiepenheuer & Witsch

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