Josef Mengele, 1956

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Olivier Guez

Mengele-Roman - Das Monster auf der Flucht

Josef Mengele galt lange Zeit als meistgesuchter Nazi-Kriegsverbrecher, gefunden wurde der einstige Lagerarzt von Auschwitz, der für den Tod von fast 400.000 Menschen verantwortlich war, jedoch nie. Der französische Autor Olivier Guez hat der Flucht und dem Versteckspiel Mengeles in Südamerika einen Roman gewidmet: "Das Verschwinden des Josef Mengele".

Mittagsjournal | 17 10 2018

Wolfgang Popp

Im Juni 1949 erreicht ein gewisser Helmut Gregor auf einem Ozeandampfer Buenos Aires. Hinter dem Decknamen verbirgt sich niemand anderes als Josef Mengele, der im Argentinien Perons ein funktionierendes Nazi-Netzwerk und damit schnell Anschluss findet.

Mengeles brasilianischer Ausweis mit dem Namen "Wolfgang Gerhard".

Mengeles brasilianischer Ausweis

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Spurensuche in Patagonien

Olivier Guez ist Mengeles Spuren genau gefolgt: "Ich hatte die verschiedenen Adressen von Mengele in Buenos Aires und habe alle seine Häuser und Wohnungen besucht, auch das Restaurant, in dem der Nazi-Kreis sich regelmäßig getroffen hat. Darüber hinaus bin ich auch nach Patagonien gefahren, nach Bariloche, wo vor allem viele österreichische Nazis gelebt haben, weil man dort Schifahren konnte."

Verschwundene Tagebücher

Olivier Guez hat die Fachliteratur zu Josef Mengele akribisch studiert, heißt: Auch wenn Roman draufsteht, basiert doch alles im Buch auf Fakten. Aber was ist mit den Tagebüchern Mengeles, die immer wieder Erwähnung finden? Olivier Guez: "Ich konnte die Tagebücher nicht lesen, weil sie verschwunden sind. Sie wurden 2011 in den USA um 250.000 Dollar von anonym an anonym verkauft. In den 80er Jahren erschienen allerdings einige gute Biografien, die lange Passagen aus den Tagebüchern zitierten und ich habe diese Passagen benützt, um ein Gespür für Mengeles Psyche zu bekommen."

Der selbstmitleidige Mörder

Und wie sieht es aus im Kopf des Josef Mengele? Olivier Guez: "Er spricht nur über sich und wie er leidet und darüber, wie krank und einsam er ist. Es ist absolut lächerlich wie er sich beschreibt und mir hat es fast Spaß gemacht, seinen Niedergang zu beschreiben."

Die banalen Bösen

In Argentinien kommt es auch zu mehreren Treffen zwischen Eichmann und Mengele, die sich nicht ausstehen können. Was aber unterscheidet sie? War Eichmann etwa der laut Hannah Arendt banale Böse, während Mengele der komplexe Böse war. Nein, ganz im Gegenteil, sagt Guez: "Was Mengele in Auschwitz gemacht hat, ist natürlich nicht banal, aber seine Motivation und sein ganzes Leben sind extrem banal. Er geht für seine Karriere nach Auschwitz. Er forscht über Zwillingsgeburten und meint, er würde viel schneller zu Ergebnissen kommen, wenn er seine Versuche nicht mit Ratten, sondern mit Menschen durchführt. Sein Ziel ist es einfach, Uniprofessor zu werden."

Buchcover

AUFBAU VERLAG

Jagd ohne Jäger

Eine der großen Überraschungen, die Olivier Guez während seiner Recherche erlebte: Die Suche nach Nazi-Kriegsverbrechern wurde die meiste Zeit weit weniger intensiv betrieben, als er erwartet hatte. Die aufsehenerregende Entführung Eichmanns durch den israelischen Mossad warf da, so Guez, ein ganz falsches Licht: "Eichmann war die Ausnahme nicht die Regel und Mengele wurde nur drei von dreißig Jahren wirklich aktiv gesucht."

Atemlose Verfolger

Guez führt im Anhang seines Buches genau die verwendete Fachliteratur an, daneben aber auch Schriftsteller, die ihn beim Schreiben beeinflusst haben. Und da finden sich neben Sebald, Kafka und Dante auch Graham Greene und der Krimiautor Philip Kerr. Olivier Guez: "Mir schwebte eine ganz schnelle Erzählung vor, die ohne Pause dahingeht und dem Leser keine Zeit zum Atmen lässt. Wir suchen Mengele, wir sind hinter Mengele her."

Nur ganz selten gibt es Romane, die eine fast physische Präsenz entwickeln, die zupacken und zwingen, fordern und fesseln, aushebeln und aufhelfen. "Das Verschwinden des Josef Mengele" von Olivier Guez zählt zweifellos zu diesen raren Glücksfällen der Literatur.

Service

Olivier Guez, "Das Verschwinden des Josef Mengele", Roman, Aufbau Verlag
Originaltitel: "La disparition de Josef Mengele", Grasset

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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