Filmstill aus "Welcome to Sodom"

CAMINO FILMVERLEIH

Film

"Welcome to Sodom" - der Friedhof unserer digitalen Gesellschaft

Nur 20 Monate besitzen wir durchschnittlich ein Smartphone, bevor es durch ein neues Gerät ersetzt wird. Das alte landet im Elektroschrott, und Endstation für den sind Deponien wie Agbogbloshi in Ghana.

Auf der Müllhalde, die als einer der giftigsten Orte der Welt gilt, leben und arbeiten 6.000 Menschen: Männer, Frauen und Kinder. Sie selbst nennen den Ort "Sodom". Christian Krönes und Florian Weigensamer haben sie über mehrere Monate filmisch begleitet.

Morgenjournal | 20 11 2018

Benno Feichter

"Alles ist hier tot"

Schwarze Rauchwolken hängen in der Luft, ein Mann stochert in einem brennenden Plastikknäuel und ausgemergelte Ziegen bewegen sich zwischen den Baracken über die endlos scheinende, giftig dampfende Müllwüste.

Rund 250.000 Tonnen ausrangierte Smartphones und Computer landen pro Jahr hier – deklariert nicht als Müll sondern als gebrauchte Geräte. "Agbogbloshi ist der Friedhof unserer zivilisierten Welt", sagt Christian Krönes und sein Regiekollege Florian Weigensamer fügt hinzu: "Man ist erschlagen von dem Chaos, dem Dreck und dem Rauch – überall brennen Feuer. Und alles ist tot: Die Erde, der Fluss der vorbeifließt, das ist totes Wasser."

Ein Dokumentarfilm auf Augenhöhe

Es ist ein surrealer Ort - einer düsteren Zukunftsvision in einem Science Fiction Film gleich - aber Agbogbloshi ist real, so real wie die Bilder unserer westlichen Welt, die die Menschen dort auf den ausrangierten Smartphones finden und über die sie staunen. "Das ist ihr Fenster zur Welt, das sind die Bilder, die wir nicht löschen: vom Urlaub, von der Familienfeier. Und natürlich entsteht so umgekehrt auch ein utopisches Bild von unserer Welt", sagt Weigensamer.

Empfohlen wird, sich nicht länger als zwei Stunden hier aufzuhalten. Das Filmteam blieb drei Monate, konnte so das Vertrauen der Menschen gewinnen, denen dieser Film auf Augenhöhe begegnet und für deren Alltag Kameramann Christian Kermer beeindruckende Bilder gefunden hat, ohne zu ästhetisieren.

Menschen leben hier

Erklärenden Kommentar gibt es keinen, der Zuschauer solle mit auf eine Reise genommen werden, so Christian Krönes: "Die Zuschauer sollen erleben, was wir erlebt haben. Die ersten Eindrücke, wenn man nicht versteht und nicht begreift. Und dann, wenn man langsam zu entdecken beginnt." Und zu entdecken gibt es viel, denn Sodom hat Strukturen, eine Alltagsnormalität. Kinder werden hier geboren. Es gibt ein improvisiertes Fitness- und Tonstudio. Und dann beginnen die Protagnisten aus dem OFF ihre Geschichten zu erzählen. Das Mädchen, das sich als Bub ausgibt, weil es mit dem Eisensammeln mehr verdienen kann, als mit dem Verkauf von Wasser. Der Medizinstudent aus Gambia, der wegen seiner Homosexualität flüchten musste. Und so ist es zugleich ein Ort der Hoffnung: Hier gibt es noch Arbeit, hier werden keine Fragen gestellt. Stolz sagen Männer, sie seien die besten Recycler der Welt.

Je mehr Elektroschrott ankommt, desto besser für das Geschäft. Viele hier sparen für einen Pass und die Flucht nach Europa. Die Bilder auf den Smartphones sind die Anleitung zum Träumen. Diese dampfende Gifthölle befindet sich dabei nicht irgendwo, sondern mitten in der ghanaischen Hauptstadt Accra. "In etwa 1,5 Kilometer vom Regierungsviertel, also auch vom Umweltministerium entfernt", erklärt Weigensamer.

Nachhaltiger als jede Nachhaltigkeitsdiskussion

Bis vor wenigen Jahren war Agbogbloshi noch ein unberührtes Sumpfgebiet, der darauf gewachsene Boden aus Plastik scheint ständig in Bewegung: "Es gibt manche Stellen, da darf man nicht drüber gehen, sonst versinkt man. Und was man immer hat, ist der metallene Geschmack im Mund von den verbrannten Kabeln. Der bleibt über Wochen und geht nie wirklich weg", und was auch bleibt, so Weigensamer weiter, sei ein Gefühl der Machtlosigkeit und des Zorns darüber: "Wir fahren dann heim, sehen in den Nachrichten ein Flüchtlingsschiff und fragen uns ob einer unserer Protagonisten da drauf ist, oder erst auf dem nächsten. Vielleicht rückt dieser Film auch den Begriff des Wirtschaftsflüchtlings ein bisschen gerade, der bei uns sehr despektierlich verwendet wird. Denn wir sind es ja, die die Lebensrealität mit geschaffen haben, aus der sie fliehen wollen."

"Welcome to Sodom" ist ein Film, der Beipackzettel zu jedem neuen Smartphone sein sollte. Kaum eine Nachhaltigkeitsdiskussion könnte nachhaltiger wirken.

"Welcome to Sodom" ist ab 23. November in den österreichischen Kinos zu sehen.

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