Haus der europäischen Geschichte, Ausstellungsansicht

EP/EUROPEAN UNION 2017

Ein Besuch im Haus der europäischen Geschichte in Brüssel

Von der Kunst, Europas Geschichte auszustellen: Im Mai 2017 eröffnete in Brüssel das Haus der europäischen Geschichte, angeregt vom Europäischen Parlament. Elegant in der Aufbau-Phase politischen Debatten ausweichend, bietet es nun auf sechs Stockwerken eine Zeitreise in historischen Objekten und künstlerischen Kommentaren an.

Die Pionierleistung der Darstellung einer Geschichte Europas in 24 Sprachen aus der Sicht von 27 Staaten – das fordert das kuratorische Team. Die Dauerausstellung ist weniger Lehrpfad als Speicher des europäischen Gedächtnisses und Anregung zur Standortbestimmung für ein europäisches Publikum.

Der altgriechische Mythos des Raubes der Europa steht am Anfang des Hauses der europäischen Geschichte in Brüssel, abgebildet in ausgewählten Objekten: auf einem Keramik Relief auf einer antiken griechischen Vase oder in den Wasserzeichen der Euro Bank Noten.

Europa wird in der Sage von Zeus in der Gestalt eines weißen Stiers vergewaltigt, er zeugt dann drei Kinder mit ihr. Die Idee der phönizischen Herkunft der Namensgeberin hat Eingang in ein Kunstwerk gefunden, das alle sechs Stockwerke des Hauses der Geschichte in Brüssel verbindet: neben der Stiege hängt eine Textband-Spirale, ausgestochen aus dem Metall sind Zitate über die phönizische Prinzessin Europa: Von Herodots bis Jaques le Goff, in den Sprachen Europas von der Antike bis heute. Das metallene Spruchband zeigt: Geschichte ist Interpretation und auch diese Ausstellung lediglich eine Interpretation der europäischen Geschichte.

Haus der europäischen Geschichte, Ausstellungsansicht

EP/EUROPEAN UNION 2017

Noch immer ein Geheimtipp

Die Strategie bei der Errichtung: keine politischen Diskussionen, das Vermeiden einem politischen Lager oder einer Partei zugeordnet zu werden und damit für die gegnerische Partei eine Angriffsfläche zu bieten. Dadurch wurde ein schneller Aufbau ermöglicht, allerdings um den Preis, dass das Projekt ohne große begleitende PR Maßnahmen auf den Weg gebracht wurde.

Die Idee stammt von Hans Gert Pöttering, der sie 2007 als Parlamentspräsident aufbrachte. Das Haus ist bis heute eine Institution des Europäischen Parlaments. Mehr als 56 Millionen Euro Budget musste das Europäische Parlament aufbringen, um die 4.000 Quadratmeter Fläche für die Dauerausstellung und 800 Quadratmeter für die Wechselausstellungen herzurichten.

Wissenschaftliche Unabhängigkeit und politische Integration

Dem Haus ist es gelungen, wissenschaftliche Unabhängigkeit zu bewahren, was angesichts der Angriffe einiger Staaten, Ungarns und Polens, unabdingbar ist.

Angriffspunkte sind zum Beispiel, dass die Geschichte der einzelnen Nationen vernachlässigt wird, weiters der als zu niedrig empfundene Stellenwert des Christentums und der Philosophie im Museum. Andere fanden, dass zu wenig über den Holocaust erzählt werde. Chefkuratorin Andrea Mork weiß mit kluger Argumentation der Kritik zu begegnen, einer Kritik, die, wie sie erfahren hat, viel öfter auf innenpolitisches Echo abziele und viel weniger an der Verbesserung des Museums interessiert sei.

Das Konzept wurde unter der Leitung von Hans-Walter Hütter vom Haus der Deutschen Geschichte in Bonn erarbeitet, dem wissenschaftlichen Beirat stand Wlodzimierz Borodziej von der Universität Warschau vor. Ein kleines internationales Kuratoriums-Team aus nur zehn Leuten, die meist drei bis vier Sprachen sprechen und ihr Wissen aus ihren Ländern mitbringen, hat das Haus der europäischen Geschichte in Brüssel aufgebaut: fast alle bringen berufliche Erfahrungen aus anderen Geschichtsmuseen mit.

Europa zum Fühlen und Tasten

Das Haus der Geschichte in Brüssel: Ein Museum zum Fühlen Riechen und Tasten. Europa soll in seinen Geschichten er-fasst werden, nicht gelesen, das Museum bietet nur minimale schriftliche Information neben den Objekten an, auf den Leih-Tablets ist der Aufbau und die Struktur des Hauses abgebildet, hier sind die Objekte im Kontext erklärt und nachhörbar in Audio- und Videobeispielen.

Es wäre auch unmöglich gewesen, dem Anspruch der 24 Sprachen anders als auf dem Tablet gerecht zu werden. So wird er erfüllt – der Anspruch der Vielsprachigkeit. Für das jüngste Publikum ist der Mythos Europa ertastbar: man kann in drei Kisten hineingreifen, um den Stier an den Hörnern zu packen. In einer Kiste mit einem Loch, gerade so groß wie eine Kinderhand, ist Zeus (der Stier) versteckt. An die Zeit, als im heutigen Haus der Geschichte noch Kinder auf den Zahnarztbesuch warteten, erinnert noch ein Kinderzahnarztstuhl aus den 1930er Jahren.

Ursprünglich eine Zahnklinik

Das Haus der Europäischen Geschichte ist im sogenannten Eastman-Gebäude im Parc Léopold – mitten in Brüssel und doch im Grünen – untergebracht. George Eastman, der Fotografie Pionier der zum Kunstmäzen wurde, hat auch hier in Brüssel ein seine Spuren hinterlassen.

Ursprünglich war das elegante Art Deco Haus eine Zahnklinik für bedürftige Kinder, erbaut mit Spendengeldern des US-amerikanischen Geschäftsmanns und Philanthropen George Eastman, des Erfinders der Kodak-Kamera. Nach Widmungen als Universitätseinrichtung und als Rechnungshof wurde es 2008 vom Europäischen Parlament gepachtet.

Europa in allen Sprachen

Direktorin Constanze Itzel liebt die lange Wand der Bibliothek der Wörterbücher der europäischen Sprachen: Europa ist hier in allen 24 Sprachen sowie in fast sämtlichen 552 Sprachkombinationen ausgestellt; und doch fehlen manche europäische Sprachen, etwa Romanes, die Sprache der Roma. Ein Lieblingsobjekt der Direktorin ist ein sechs Meter langes auf dem Buchrücken liegendes Papierobjekt, der Gesetzestext Europas aufgeblättert, eine Kunstobjekt von Rem Kohlhaas.

Die Shoah vom 19. Jahrhundert bis zur Erinnerung

Die Erinnerung an die Shoah ist einer der Ausgangspunkte eines gemeinsamen europäischen Denkens, das über das national staatliche hinausgeht. Die Shoah in Objekten im Haus der Geschichte in Brüssel: Da ist ein Kartenspiel aus Tarotkarten, gefertigt von einem Häftling im KZ Dachau, da sind Gewehrkugeln aus einer Massenhinrichtungsstätte jüdischer Opfer aus der Ukraine, eine Skizze einer Deportationsstrecke, von einem Opfer gezeichnet, der Ausweis eines italienischen Zwangsarbeiters aus dem Jahr 1944, eine Krematoriumsmarke für die Identifikation eingeäscherter Opfer aus Auschwitz und der gelbe Judenstern.

Es sind kleine Relikte, die mehr die Normalität des Schrecklichen anzeigen als Eindruck machen wollen und die - integriert in die Ausstellungsbereiche - leicht übersehen werden können.

Die Geschichte Europas geht weiter

In der Ausstellung wird das Heute wird zum Gestern. Es bleibt Platz für die kommenden Entwicklungen. Teilhaben, Interaktion und Nachdenken über Europa und seine Geschichte – gerade jetzt in den Vorbereitungen zur Europawahl ist das ein aktueller und wichtiger Prozess. Das Haus der Geschichte bietet für diese spezielle Zeit besondere Lehrmaterialen an, die mittels Tablet erfüllt werden müssen und Führungen, die sich einzelnen politischen Fragen widmen- Themen, die den Wahlkampf möglicherweise bestimmen werden; die Bedingungen der gemeinsamen Währung, eine gemeinsame Armee, ein gemeinsames Steuersystem, die Ein- und Ausreise in die EU, die Wichtigkeit der Sprachenvielfalt und die Frage: Was bedeutet es in der Welt von heute Bürger oder Bürgerin in der EU zu sein?

Europa mit allen Sinnen erfassen: Düfte von Gewürzen oder Speisen oder Getränken werden angeboten, die Europas Lebensart ausmachen: die Kinder sollen die Herkunftsländer erraten: Tee aus China, Kaffee aus Afrika, Nelken aus Madagaskar. Was Europa definiert: seine Speisen, seine Gewürze, seine Lebensart, seine Musik: Diese hat nur eine kleine Auslage: welcher Tanz gehört zu welchem Land? Gleich wird hier die europäische Grenz-übergreifendende Dimension hörbar, die Tänze lassen sich nicht bloß einem Land zuordnen.

Welches Land bevorzugen Sie - beim Essen?

Zu ihren Vorlieben und geografischen Bezugspunkten werden die Gäste des Hauses gleich bei ihrem Eintritt befragt, diese Angaben werden ausgewertet und ergeben ein kollektives Porträt. Eines der Ergebnisse, die Vorliebe für italienisches Essen.

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