Frau tippt auf dem Handy

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Hass im Netz

Poster, Falschparker und Aktionisten

Die Regierung hat im November einen einstündigen Gipfel gegen Hass im Netz abgehalten. Ihre Botschaft: Es soll eine Art Ausweispflicht im Netz geben, wie die aussehen kann, ist unklar. Denn Hass wird auch unter echtem Namen gepostet und eine digitale Ausweispflicht hat einen Preis. Mehr Staatsanwälte würden einen Unterschied machen, aber die gibt es noch immer nicht. Und die Regierungspartei FPÖ hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Eine Stunde hat der Gipfel gegen Hass gedauert. Der erste Vorschlag, dass nur unter Klarnamen gepostet werden darf, war schon im Vorfeld in der "Kronen Zeitung" zu lesen. Er wurde von zahlreichen Experten sofort abgelehnt. Es gibt gute Gründe, warum Menschen unter Pseudonymen posten, zum Beispiel wenn sie selbst Opfer sind. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass sich Menschen nicht davon abhalten lassen, auch unter ihrem echten Namen Hass zu posten.

Gerlinde Hinterleitner, Online-Verlagsleiterin beim "Standard", weiß das aus der Praxis, das "Standard"-Forum ist nach eigenen Angaben das größte im deutschsprachigen Raum.

Klarnamen helfen nicht

"Es gibt hunderttausende Beispiele wo Menschen mit Klarnamen posten - in der Art und Weise, wie wir das nicht haben wollen. Das wird an der Debatte nichts ändern", sagt Hinterleitner. Menschen würden Hass posten, weil sie glauben, kein Gegenüber zu haben.

Würden Klarnamen verpflichtend, dann träfe das Foren wie das vom "Standard" ganz wesentlich, sagt Hinterleitner, denn nur ein kleiner Teil - im einstelligen Prozent-Bereich - der "Standard" -Poster würde unter echtem Namen auftreten. Die öffentliche Debatte im Netz würde also Schaden nehmen.

Reden hilft, aber besser persönlich

Beim "Standard" hat man auch Erfahrungen, wie man mit Hasspostern umgeht. Jeder, der im Forum mitreden will, muss eine funktionierende Mail-Adresse hinterlegen. Über die wird er oder sie im Fall des Falles kontaktiert. Statt auf Postings zu reagieren, sei es viel sinnvoller, die Personen direkt anzusprechen, sagt Hinterleitner: "Wir haben uns mit den Menschen dahinter beschäftigt. Das hat die Debatte enorm gehoben." Immerhin arbeiten dafür 15 Personen, mehr als in so manchen Redaktionen sitzen.

Besteht eine strafrechtliche Relevanz, dann gibt der "Standard" auch alle Daten heraus, die zur Verfügung sind, so Hinterleitner. In den allermeisten Fällen würden Poster, selbst wenn sie unter Pseudonymen posten, ihre Mail-Adressen mit Namen hinterlegen. Und nur selten müsse man die Daten herausgeben.

Gernot Blümel

ORF/ROMAN ZACH-KIESLING

Gernot Blümel

Der digitale Ausweis

Nach der Kritik hat die Regierung eingelenkt. Medienminister Gernot Blümel von der ÖVP sagt jetzt, Pseudonyme könnten bleiben, die digitale Ausweispflicht brauche man aber trotzdem. In einem Interview mit der ZIB2 hat Blümel angekündigt, er lasse prüfen, ob sich Poster in Österreich künftig zum Beispiel über eine Handynummer authentifizieren müssen. Das wirft Fragen auf: Was passiert mit den Daten? Wo werden sie gespeichert?

In österreichischen Foren könnte die Identifizierung vereinfacht werden, aber an der Debatte auf den US-Plattformen wie Facebook oder YouTube würde sich wohl nicht viel ändern, die haben ihre eigenen Regeln.

Warum kaum jemand klagt

Zuletzt gab es einen ganz prominenten Fall in Österreich: Beschimpfungen gegen die ehemalige Grün-Abgeordnete im Nationalrat Sigrid Maurer. Sie hat die Postings, die nur an sie privat geschrieben waren, öffentlich gemacht und wurde deshalb wegen übler Nachrede verurteilt, was viele geschockt hat. Maurer geht in Berufung. Das wirft die Frage auf: Versagt unser Rechtssystem bei diesem Thema? Österreich hat viele Gesetze gegen üble Nachrede, Beleidigung, Verhetzung, gefährliche Drohung oder Cyber-Mobbing, aber sie kommen selten zur Anwendung.

Crowdfunding für die Kriegskasse

Das Problem: Bei Delikten wie Beleidigung oder übler Nachrede muss das Opfer Privatanklage führen. Das ist teuer, langwierig und nervenaufreibend. Deshalb hat Maurer eine Crowdfunding Kampagne gestartet und bereits 160.000 Euro für einen Rechtshilfefonds gesammelt, für den eigenen Prozess und für andere.

"Es geht darum, eine Kriegskasse zu haben und Dinge ausprobieren zu können. Das Problem ist ja, dass man nur dann klagt, wenn man Aussicht auf Erfolg hat. So eine Unterlassungsklage kostet gleich einmal zwischen 15.000 und 20.000 Euro, das hat halt niemand einfach so", sagt Maurer.

Sigrid Maurer

APA/GEORG HOCHMUTH

Wo sind die Staatsanwälte?

Außerdem würden viele Fälle nicht verfolgt. Es fehlt an geschulten Polizisten, Richtern und Staatsanwälten. Der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat fünf zusätzliche Staatsanwälte versprochen, die gibt es aber noch immer nicht. Aus dem Justizministerium heißt es dazu auf Anfrage von #doublecheck, die Stellen seien im aktuellen Budget auch nicht vorgesehen. Für die nächste Budgetperiode 2020/21 wolle man sich darum bemühen.

"Das ist wichtiger, als über digitale Vermummungsversuche zu reden, die man dann nicht durchsetzen kann", sagt Dieter Schindlauer von der Opferberatungsstelle ZARA, die auch die Beratungsstelle #GegenHassimNetz betreibt und dafür von der früheren SPÖ-ÖVP- Bundesregierung beauftragt wurde.

Zum Gipfel im November war ZARA aber nicht eingeladen, obwohl auch diese Regierung eine Hotline einrichten will. Man werde miteinander reden, versichert man im Büro von ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler im Innenministerium.

Knackige Strafmandate für Poster

Schindlauer sieht auch einen weiteren Regierungsvorschlag kritisch. Edtstadler will "knackige" Verwaltungsstrafen für Hassposter, die sollen von den Bezirkshauptmannschaften eingehoben werden, wie für Falschparken.

"Das soll schon anders sein als Falschparken. Das wäre möglicherweise eine zusätzliche Ohrfeige für Betroffene, wenn jemand sagt: Dich so richtig fertig machen kostet 40 Euro, das ist es mir wert."

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Mehr als Gesetze und Strafen würde aber eine neue Kultur in der öffentlichen Debatte helfen, sagen viele Experten. Die könnte die Regierung maßgeblich mitgestalten. Doch die hat dank der FPÖ in dieser Frage ein Glaubwürdigkeitsproblem. Just an dem Tag, als die Regierung den Anti-Hass-Gipfel abgehalten hat, wurde auf FPÖ TV das berühmte Ali-Video veröffentlicht, das die FPÖ aufgrund massiver Kritik, auch vom Koalitionspartner ÖVP, vom Netz nehmen musste.

Die Qualitätskontrolle habe hier versagt, war die Erklärung von Vizekanzler Heinz Christian Strache. Die Tonalität freiheitlicher Politik entzieht sich immer wieder der Kontrolle. Zuletzt im Fall des niederösterreichischen Landesrats Gottfried Waldhäusl, der minderjährige Asylwerber in Drasenhofen wegsperren wollte und Kritikern anbot, sie könnten sich ja "zwei, drei mit nach Hause nehmen". Entsprechend gehässig waren auch die Kommentare zu der Causa auf Facebook.

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