Mann mit Brille und Pistolentätowierung

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Mit der Faust in die Welt schlagen

Lukas Rietzschel schreibt in seinem Debütroman über seine ostdeutsche Heimat und über Menschen, die sich selbst wenig zutrauen und von einigen, die zu Neonazis werden.

Wenn der Osten Deutschlands für Schlagzeilen sorgt, dann sind sie selten positiv. Nicht vom Aufschwung und vom Erfolg ist dann die Rede, sondern zum Beispiel von ausländerfeindlichen Übergriffen, wie zuletzt jenen in Chemnitz. Der Schriftsteller Lukas Rietzschel wurde 1994 in dem kleinen Ort Räckelwitz geboren, nicht weit von Bautzen. In seinem Debütroman "Mit der Faust in die Welt schlagen" erzählt er von seiner Heimat als einer abgehängten, verwahrlosten Gegend und von Menschen, die sich selbst wenig zutrauen, und von einigen, die zu Neonazis werden.

Buch der Stunde

Für die Provinz entscheidet sich in der Regel kaum einer. Wer als Schriftsteller reüssieren will, der geht nach Berlin oder zumindest nach München, Köln oder Leipzig. Auch Lukas Rietzschel, der im ländlichen Sachsen aufgewachsen ist, hat seine Herkunftsregion verlassen - und in Kassel Politikwissenschaft und Germanistik studiert. Aber er ist zurückgekehrt und lebt heute in Görlitz. Es war eine sehr bewusste Entscheidung.

Lukas Rietzschel möchte dort "sein, wo es wehtut".

"Mit der Faust in die Welt schlagen" wurde oft als Buch der Stunde bezeichnet, weil er erahnen ließ, welche dumpfen Aggressionen sich in Chemnitz Bahn brachen, als eine aufgestachelte Meute Hatz auf fremdländisch aussehende Menschen machte. Natürlich konnte Lukas Rietzschel so wenig wie andere die Ereignisse vom Frühherbst vorhersehen, überrascht haben dürften sie ihn dennoch nicht.

Wo das Selbstwertgefühl ins Bodenlose sinkt, da werden bevorzugt Fremde als Feinde ausgemacht

Lukas Rietzschels Roman erzählt von einer bedrohlichen Melange aus Verwahrlosung, Unsicherheit, Wut und Perspektivlosigkeit in der ostdeutschen Provinz. Es ist jedoch kein Buch, das im Ton und Gestus einer Anklage verfasst ist. Rietzschel will vielmehr möglichst genau abbilden, was ist. Zum Schauplatz hat er ein Dorf namens Neschwitz gemacht. Die Gemeinde ist namensgleich mit einem Ort, der sich tatsächlich auf der sächsischen Landkarte finden lässt.

"Es ist der Versuch, einen Namen für eine Hülle zu finden." Lukas Rietzschel über einen fiktiven Ort mit realem Namen.

Es ist mithin ein Ort wie andere auch in der Region, kein ländliches Idyll, sondern viel eher ein Platz der Trostlosigkeit. Das Schamottewerk, das den Menschen früher Arbeit gegeben hat, liegt verlassen und verkommt zur Ruine. Überall Niedergang und Verluste. Wer klug ist, der lässt die randständige Region, in der es nur bergab zu gehen scheint, möglichst schnell hinter sich, viele sind in den Westen gegangen. Ein Brüderpaar wächst hier in der Zeit nach der Jahrtausendwende heran. Ihre Eltern sind geblieben. Der Vater hat zwar den Job verloren, aber nach etlichen Umschulungen verdient er jetzt als Elektriker wieder Geld. Sogar ein Haus baut sich die junge Familie. Der Alltag in der Provinz aber bietet nicht viel für Tobias und Philipp und beide Brüder landen schließlich in der Neonazi-Szene.

Beklemmend und bemerkenswert

Lichtblicke oder Fluchtpunkte gibt es in diesem Roman nicht. Es ist dunkel in Sachsen, in manchen Ecken sogar dunkelbraun. Da ist keiner, der sich von der Tristesse abhebt, der eine andere Haltung vorleben würde. Lukas Rietzschel erzählt von einem Häuflein Rechtsradikaler, vor allem aber von einem Dorf, das von Abgehängten und Gescheiterten bevölkert wird. Ihnen fehlt ein Ziel, ja auch nur eine Idee von Zukunft. Sie alle haben sich daher in einem Außenseitertum eingerichtet.

Wo das Selbstwertgefühl ins Bodenlose sinkt, da werden bevorzugt Fremde als Feinde ausgemacht, denen man die eigene vermeintliche Stärke und Überlegenheit demonstrieren muss. Mal sind es die Sorben, mal die "Polacken", die über die Grenze kommen und frech auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Einer Familie, die ein türkisches Mädchen adoptiert hat, wirft die rechtsradikale Gang einen Sack mit Fleischereiabfällen vor die Tür - eine unverhohlene Warnung. Auf einem Dorffest bleibt es nicht bloß dabei. Diesmal gibt es Verletzte, Afghanen oder Syrer - egal. Menzel, der Anführer der rechtsradikalen Gruppe spricht aus, was die anderen bloß denken:

Und dann will ich auf alles einschlagen, richtig rein mit der Faust, bis alles blutet. Der ganze Mist, den einfach keiner rafft.

Lukas Rietzschel treibt diese Geschichte einer Radikalisierung immer weiter voran. So wie er vom Heranwachsen von Philipp, Tobias und ihren gleichaltrigen Kumpanen erzählt, scheint deren Entwicklung nahezu zwangsläufig nur in eine Richtung weisen zu können. Sie werden nicht alle zu gewaltbereiten und dumpfen Ausländerhassern wie Menzel, aber zu jungen Männern ohne Perspektive, die nicht daran glauben, dass sie durch eigene Anstrengung etwas bewirken können. Wie es Rietzschel gelingt, diese umfassende Ausweglosigkeit und trübe Trostlosigkeit in einprägsame Bilder und Dialoge zu übersetzen, ist beklemmend und bemerkenswert zugleich. Er tut dies in einer einfachen Sprache, ohne Schmuck und Beiwerk, wie er sie womöglich den Menschen in seiner Heimat selbst abgelauscht hat.

"Ich blicke nicht mit Verachtung auf diese Menschen, sondern eher liebevoll. Sie straucheln und träumen - und scheitern irgendwie dabei."

Mit "dem Osten reden" will auch Lukas Rietzschel selbst. Sein Buch ist ein Angebot dazu, ins Gespräch zu kommen. Ob es angenommen wird, das liegt allerdings nicht in seiner Hand.

Service

Lukas Rietzschel, "Mit der Faust in die Welt schlagen", Roman Ullstein Verlag

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