Polizeiabsperrband

APA/DPA/CHRISTOPH SCHMIDT

Gewaltserie an Frauen in den Medien

Mit Gewalt einen Scoop gelandet

Eine Serie von Gewaltverbrechen an Frauen erschüttert Österreich und fordert Medien wie Politik. Sensibilität wäre gefragt, nicht die Jagd nach dem Scoop, nach der besten Geschichte. Doch die Bundesregierung erzählt die ihre mit viel Kalkül, wenn sie die unkontrollierte Zuwanderung von 2015 zur Wurzel der Verbrechen erklärt und das heftig propagiert. Medien drucken Täterpsychogramme, die sich lesen wie ein Thriller, und die Berichterstattung über die Bluttaten strotzt vor Verharmlosungen.

Zehn Frauen sind seit Dezember in Österreich getötet worden, dazu kommen brutale Übergriffe auf offener Straße. Täter und Opfer standen in der Mehrzahl der Fälle nach derzeitigen Erkenntnissen in einer persönlichen Beziehung zueinander, einige Verdächtige haben Migrationshintergrund. Es handelt sich um eine beispiellose Gewaltserie, die auch die Politik auf den Plan gerufen hat.

Zahlreiche Regierungsmitglieder sprechen von "importierten" Werthaltungen gegenüber Frauen, das patriarchale Denken von Ausländern sei durch die Migrationsereignisse 2015 nach Österreich gekommen. "Das kann und darf man nicht verschweigen", sagte etwa Vizekanzler Heinz-Christian Strache beim Pressefoyer Mitte Jänner und spielt dabei mit dem Vorwurf, der Medien wiederholt gemacht wird: Die Nationalität von Straftätern werde verschwiegen.

Seit Köln wollen alle die Herkunft wissen

Die Kritik ist nicht neu. Laut wurde sie nach den sexuellen Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof 2015, Medien hätten die Vorfälle zu lange liegen gelassen, hieß es damals. In Deutschland hat der Presserat seither seine Linie neu formuliert: Liegt begründetes öffentliches Interesse vor, sollten Medien die Herkunft von Straftätern nennen.

Im österreichischen Ehrenkodex des Presserats gibt es keine eigene Bestimmung dazu. Es sei die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten abzuwiegen, ob die Herkunft relevant ist oder nicht, sagt Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats. Wichtig sei es, pauschale Verunglimpfungen und Diskriminierungen zu meiden.

Entscheidend ist wie immer der Kontext

Auch die Leiterin des Chronik-Ressorts im ORF-Radio, Barbara Weinzierl, sagt, dass stets im Einzelfall zu entscheiden sei, wann Nationalität eine Rolle spielen könnte. Bei der aktuellen Gewaltserie habe man fast immer die Herkunft genannt, so Weinzierl, "weil man die Gewalttaten in einem Kontext sehen muss, und es aus meiner Sicht für das Verständnis wichtig war, zu wissen, aus welchem Umfeld der Tatverdächtige kommt". Die Herkunft werde aber auch bei österreichischen Tatverdächtigen genannt, ergänzt Weinzierl.

Die Order aus dem Innenministerium

Nichts verschweigen, wie es sich Vizekanzler Strache wünscht - das ist auch ganz im Sinne jenes Mails aus dem Innenministerium an die Landespolizeidirektionen, das im vergangenen Sommer für Aufregung gesorgt hat. Neben der Empfehlung, kritischen Medien gegenüber nicht allzu offen zu sein, hieß es in dem Mail auch: "Hinkünftig darf ich euch darum ersuchen, die Staatsbürgerschaft einer mutmaßlichen Täterin beziehungsweise eines mutmaßlichen Täters in euren Aussendungen zu benennen."

"Aus Opferschutzgründen ein heikles Thema"

In der Order des Innenressorts an die Medienstellen in den Ländern findet sich außerdem dieser bemerkenswerte Satz: "Sexualdelikte sind aus Opferschutzgründen ein heikles Thema, dennoch darf ich euch bitten, vor allem Taten, die in der Öffentlichkeit begangen werden, auch proaktiv auszusenden."

Für Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter", wäre es der Versuch der Manipulation, würden über die Aussendungen der Polizei nur die ausländischen Täter ins Rampenlicht gestellt. Alle Straftaten, egal von wem sie begangen werden, sollten gleich kommuniziert werden, sagt Klenk.

"Falter" hebt Ausländergewalt auf das Cover

Der linksliberale "Falter" hat die aktuelle Gewaltserie gegen Frauen auf das Cover gehoben, in der Titelgeschichte steht ganz im Sinne der Regierung der Ausländer-Anteil an den Bluttaten im Vordergrund. Die entsprechenden Kriminal-Statistiken hat der "Falter"-Chefredakteur zuvor mit seinen 217.000 Followern auf Twitter geteilt.
Klenk möchte die Debatte versachlichen und warnt vor falscher Political Correctness.

"Wenn ich den Befund nicht mehr erstellen kann, wenn ich die Fakten nicht mehr darstellen kann, ohne dass ich Angst haben muss, ich könnte falsch verstanden werden, dann führen wir keinen offenen Diskurs mehr." Es sei die Aufgabe des Journalismus, zu "schreiben, was ist", zitiert Klenk den "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein.



Die Debatte über Kriminalität dürfe nicht den Rechten überlassen werden. In manchen journalistischen Milieus gebe es die Sorge, man könnte "das Wasser auf den Mühlen der Rechten sein". Nicht darüber zu berichten wäre aber das größere Problem, glaubt Florian Klenk.

Gewalt-Debatte auf dem falschen Dampfer

Sich auf die Täter mit Migrationshintergrund zu stürzen, greife zu kurz, findet hingegen Nicole Schöndorfer. Die freie Journalistin hat sich auf feministische Themen spezialisiert. Die Gewaltserie an Frauen werde "rassistisch instrumentalisiert", sagt Schöndorfer. „Es geht nicht mehr um die Gewalt an sich, es geht nur noch darum, ob die Täter Migrationshintergrund haben." Das tue der Debatte nicht gut, der Kampf gegen patriarchale Strukturen müsse auf allen Ebenen geführt werden.

Vom "Familiendrama" bis zur "Sex-Attacke"

Zu all dem komme ein Versagen der Medien. Die Berichterstattung strotze vor Verharmlosungen, Täter-Opfer-Umkehrungen sowie fragwürdigen Wortschöpfungen. Schöndorfer appelliert, Gewalt als Gewalt zu benennen. Begriffe wie "Rosenkrieg", "Familiendrama" oder "Sex-Attacke“ seien fehl am Platz.

Gipfelpunkt war für viele Kritiker die Schlagzeile "Flirt gescheitert - Radler schlägt Frau fast tot" in der Online-Ausgabe der "Heute"-Zeitung. Die Empörung war groß, Kritik daran kommt auch vom Presserat. Es sei eine Verharmlosung und aus ethischer Sicht problematisch, so Alexander Warzilek. "Heute.at" hat die Schlagzeile aufgrund der Proteste dann rasch geändert.



Die Täterperspektive steht im Vordergrund

Narrative wie jene der "Heute"-Schlagzeile würden eine Mitschuld der Opfer suggerieren, so die Kritik. Zu oft werde auch die Perspektive der Täter eingenommen. Eklatantes Beispiel dafür ist ein Artikel in der "Kronen Zeitung": Das Boulevard-Blatt widmete dem Mann, der mehrere Frauen in Wien mit einer Eisenstange brutal überfallen hat, in einer Art Psychogramm eine fesselnde Kriminalgeschichte. Zitiert wurde aus den Einvernahme-Protokollen, während die Opfer nur in zwei Sätzen und in Klammer erwähnt wurden.

Opferschutz- und Frauenorganisationen warnen davor, dass sensationalistische Berichterstattung für Opfer re-traumatisierend sein kann. Bei Berichten über Gewaltverbrechen sollten Journalisten daher besonders sensibel sein, sagt auch der Presserat.

Unethisches Plündern von Facebook-Accounts

Immer wieder bedienen sich Medien aus den Bildergalerien der Verstorbenen in Sozialen Netzwerken, ohne bei den Hinterbliebenen um Erlaubnis zu fragen. Das ist aus der Sicht des Presserats ein Ethik-Verstoß - Geschäftsführer Alexander Warzilek würde es zur Bewusstseinsbildung der Medienschaffenden begrüßen, könnte man das als "Unterpunkt beim Persönlichkeitsschutz in den Ehrenkodex aufnehmen". Da müssten freilich alle am Presserat beteiligten Medien mittun.

Skepis über Nachahmung bei Frauengewalt

Bei der Berichterstattung über Suizide haben sich die Medien vor langer Zeit auf strenge Regeln geeinigt - die Gefahr, dass es zu Nachahmungstaten kommen kann, wenn ausführlich über Suizide berichtet wird, ist wissenschaftlich bewiesen und als "Werther-Effekt" bekannt. Über Suizide sollte daher nur in Ausnahmefällen geschrieben werden, und auch dann nur mit großer Vorsicht.

Der Debatte, ob es auch bei Gewalt gegen Frauen Nachahmungstaten gibt, kann Warzilek wenig abgewinnen: "Ich glaube, dass Gewaltverbrechen an Frauen in erster Linie darauf zurückzuführen sind, dass ein Mann Angst vor dem Kontroll- und Machtverlust hat, es mag vielleicht auch krankhafte Eifersucht eine Rolle spielen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Medienbericht über ein Gewaltverbrechen Auslöser sein kann, dass ein Mann in einer Beziehung dann eine Gewalttat begeht."

Weiterführende Links

Ehrenkodex für die österreichische Presse

Leitfaden zur Berichterstattung über Gewalt an Frauen

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