Nordzypern - türkische Flagge auf einem Berg

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Ambiente

Nebenan: Zypern

Annäherungen auf einer geteilten Insel - eine Ö1 Kulturreise entlang der "Grünen Linie".

"Der Riss", "die Mauer", "das Ende der Welt" - so bezeichnen die Bewohner/innen der drittgrößten Mittelmeerinsel die Demarkationslinie, die Zypern seit 1974 teilt. Mit einer Länge von 180 Kilometer verläuft sie quer über die Insel, die Pufferzone wird von UN-Einheiten bewacht. Nach einem griechischen Putsch und einer darauffolgenden türkischen Militärintervention blieb der Süden Republik Zypern. Im Norden wurde die "Türkische Republik Nordzypern" ausgerufen, die ausschließlich von der Türkei anerkannt wird. Mehr als 150.000 Zyperngriech/innen verloren im Zuge des Konfliktes ihre Heimat und flohen in den Süden, umgekehrt mussten zirka 60.000 Zyperntürk/innen in den Norden fliehen.

UN-Wachturm in der Pufferzone Nikosia

UN-Wachturm in der Pufferzone Nikosia

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Erst nach drei Jahrzehnten strikter Trennung der beiden Inselteile wurde die Grenze 2003 an ein paar Stellen geöffnet. Diese Grenzübergänge ermöglichen eine langsame Wiederannäherung der Menschen auf beiden Seiten der "Grünen Linie".

Serdar Atai

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Serdar Atai deutet auf Zeichnungen, die in das Mauerwerk der Kirche "St. Georg der Griechen“ eingeritzt wurden.

"Die guten Erinnerungen stärken" - Famagusta

"Man muss die gemeinsamen guten Erinnerungen stärken", davon ist Serdar Atai überzeugt. Er lebt in der Hafenstadt Famagusta, die heute zum türkischen Teil Zyperns gehört.

Dort ist er auch aufgewachsen. Als Kind hat er den Krieg erlebt und vor Bombenangriffen in der Bastion der mächtigen Stadtmauer Schutz gesucht. Er hat gesehen, wie Soldaten getötet wurden. "Wir müssen lernen zu vergeben", sagt er. "Es ist der einzige Weg, der uns weiterführt." Als Mitbegründer von Masder, einem Verein, der sich um den Erhalt der beeindruckenden historischen Bauwerke der Altstadt kümmert, organisiert er auch bikommunale Projekte. Er erzählt, wie er zusammen mit einer griechisch-zypriotischen Initiative einen Gottesdienst in einer orthodoxen Kirche organisiert hat.

Vor der Teilung war dieser Ort ein Symbol für gutes Zusammenleben. Die griechischen Zypriot/innen gingen in die Messe und anschließend zum Markt, um bei den türkischen Zypriot/innen einzukaufen, erzählt er. Im Dezember 2013 seien rund 3.000 Menschen über die Grenze gekommen, zum ersten Gottesdienst nach Jahrzehnten. Grenzüberschreitende Aktivitäten können den Boden für eine mögliche Wiedervereinigung bereiten, davon ist der türkische Zypriot Serdar Atai überzeugt. Doch nicht alle denken so wie er.

Famagusta, Altstadt

Altstadt von Famagusta

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Getrennt bleiben

"Beide Teile der Insel sollten endgültig getrennte Wege gehen", sagt ein türkischer Hobbyfischer am Strand von Famagusta. Vor ihm das Meer, hinter ihm die seit mehr als 40 Jahren verfallenden Hotelblöcke der ehemaligen Tourist/innenhochburg Varosha, einer seit der türkischen Invasion unbewohnten Geisterstadt und militärisches Sperrgebiet. "Die Verhandlungen können wir uns sparen. Es herrschen Feindschaft und Angst zwischen den beiden Volksgruppen, die Trennung ist das Beste."

Varosha, die Geisterstadt

Varosha, die Geisterstadt

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Nikosia, einzige geteilte Hauptstadt Europas

Auf dem Weg entlang der "Grünen Linie", von der ehemals reichen Hafenstadt Famagusta im Osten bis zum idyllischen, aber isolierten Dorf Kato Pyrgos im Westen, begegnet man durchwegs beiden Haltungen. In einer Gesellschaft wie jener Zyperns wird das Private politisch und das Politische privat. Niemand, so scheint es, kann sich dem Konflikt entziehen. Jeder hat eine Geschichte des Verlustes zu erzählen.

Blick auf die Pufferzone in Nikosia

Blick auf die Pufferzone in Nikosia

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In Nikosia etwa, der einzigen geteilten Hauptstadt Europas, bemüht sich der griechisch-zypriotische Historiker Marios Epaminondas um ein differenzierteres Geschichtsverständnis, er führt die Besucher/innen zu den Schönheiten der Stadt - auf beiden Seiten. Seine Eltern sind während des Krieges vor dem türkischen Militär geflüchtet, mussten alles liegen und stehen lassen und haben sich im Süden eine neue Existenz aufgebaut.

Der Historiker Marios Epaminondas

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Der Historiker Marios Epaminondas

Nach der Öffnung der Grenzübergänge fuhr Marios Epaminondas mit seinem Vater an jenen Ort, den dieser vor mehr als 40 Jahren hatte verlassen müssen. Doch das Haus, in dem er gewohnt hatte, war nicht mehr da. An seiner Stelle stand eine Moschee. Sein Vater habe sich hingesetzt und geweint, erzählt der Historiker. In diesem Moment sei auch die Hoffnung auf eine Rückkehr gestorben.

Am Rand - Kato Pyrgos

Kato Pyrgos am westlichen Ende der "Grünen Linie" ist ein isoliertes Straßendorf, das früher für seine Feigen berühmt war, dessen Bauern sich aber jetzt mehr auf den Anbau von Pfirsichen, Zitrusfrüchten und Gemüse konzentrieren. Hauptsächlich Männer sitzen am Nachmittag im Gasthaus, trinken griechischen Kaffee und spielen Tavli. Ein schöner Strand liegt am Ende der Straße. "Wir leben wirklich am Rand der Republik Zypern", bedauert der Gemeindevorsteher Nicos Kleanthous. Tourist/innen aus dem Ausland finden kaum den Weg ins Dorf, im Sommer machen hier höchstens die Zypriot/innen Urlaub. "Dabei ist es hier so schön und ruhig!"

Kato Pyrgos

Kato Pyrgos

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Durch die Teilung der Insel wurden die Verbindungswege gekappt. War man früher in rund einer Stunde in der Hauptstadt, so dauerte es nach der Grenzziehung rund vier Stunden. Vor ein paar Jahren wurde ein Grenzübergang in der Nähe geöffnet, der Weg in die Hauptstadt führe nun über den türkischen Teil und verkürze die Fahrzeit wieder auf eineinhalb Stunden. Einer totalen Grenzöffnung steht der Gemeindevorsteher eher skeptisch gegenüber. "Wir waren schon so lang getrennt. Wir kennen einander nicht mehr. Wie soll ein Zusammenleben funktionieren? Meine Kinder haben überhaupt keinen Kontakt zu Menschen auf dem türkischen Teil. Sie wollen keine Wiedervereinigung. Das ist traurig, aber es ist die Wahrheit."

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