Bühnenlichter, Jazznacht

AP

30. April 2019

Klangzauber & Improvisation beim Ö1 Jazztag

Am 30. April würdigt Ö1 die Vielfalt und die kulturelle Brückenbauerfunktion des Jazz - von "Guten Morgen Österreich" über "On stage live" mit Rolf und Joachim Kühn bis hin zu einer Spezialausgabe der "Jazznacht" mit Studiogast Erika Pluhar.

Ein gesetzter, gemütlicher Lebensabend sieht anders aus: Der mit seinen 75 Jahren immer noch jugendhaft wirkende Pianist Joachim Kühn ist weiterhin höchst umtriebig - er ergeht sich im Rahmen des neuen Soloalbums "Melodic Ornette Coleman" in ungewohnt lyrischen, meditativen Exegesen von Kompositionen des 2015 verstorbenen Free-Jazz-Pioniers. Und sein mehr als 14 Jahre älterer Bruder, Klarinettist Rolf Kühn, der am 29. September seinen 90. Geburtstag feiert, umgibt sich immer wieder mit Musikern und Musikerinnen, die seine Enkel sein könnten. Um mit diesen frei zu improvisieren oder - wie im Rahmen des 2018 erschienenen Albums "Yellow + Blue" - Songs von Joni Mitchell bis hin zu alten Standards zu intonieren, die ihm in den 1950er Jahren in den USA als Mitglied der Band von Benny Goodman ans Herz gewachsen sind.

Rolf und Joachim Kühn

Rolf und Joachim Kühn

KÜHN

Das ungleiche Brüderpaar Kühn

Das in Leipzig aufgewachsene Brüderpaar ist ein ungleiches, schon allein durch den Altersunterschied: Als der 22-jährige Joachim Kühn 1966 die Einladung zu Friedrich Guldas berühmtem internationalen Jazzwettbewerb in Wien dazu benützte, den Eisernen Vorhang zu überwinden und in der Folge von Westdeutschland aus seine Karriere startete, da war sein Bruder bereits ein Szeneschwergewicht mit mehrjähriger New-York-Erfahrung.

Wobei Rolf Kühn ein wandelbarer Geist blieb, der sich durch ein privates Dirigierstudium bei Sir Charles Mackerras fortbildete, in den 1970er Jahren u. a. für das Berliner Theater des Westens, für Film und Fernsehen bis hin zu "Tatort"- und "Derrick"-Folgen komponierte und in den 1980er Jahren - für einen Jazzmusiker zweifellos überraschend - Aufführungen der Musicals "Jesus Christ Superstar" und "Chicago" im Theater an der Wien leitete. Anno 2019 wird er übrigens u. a. bei Glatt & Verkehrt in Krems zu hören sein.

Stete Neuerfindung

Auch Bruder Joachim Kühn hat sich musikalisch immer wieder neu erfunden. Die Beschäftigung mit Rock-Jazz steht ebenso zu Buche wie jene mit der Musik Johann Sebastian Bachs oder die spektakuläre Duopartnerschaft mit dem oben erwähnten Ornette Coleman. Nicht zu vergessen das Trio mit dem marokkanischen Gnawa-Musiker und Gembri-Spieler Majid Bekkas und dem spanischen Schlagzeuger Ramón Lopez, mit dem der Pianist in den vergangenen Jahren auf hörenswerte Weise Brücken zwischen Jazz und Maghreb geschlagen hat.

Sucht man nach Parallelen im musikalischen Denken der beiden Kühns, die heute in Berlin (Rolf) und auf der Balearen-Insel Ibiza (Joachim) leben, dann fällt ihr Forschergeist auf, die entspannte Neugierde, mit der sie sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Der Anspruch, Improvisation tatsächlich als Kunst des Moments zu begreifen, überraschungsreich, routinefrei, die Möglichkeit des Scheiterns einkalkulierend. Am 30. April werden diese beiden Großmeister des europäischen Jazz im Wiener Jazzclub Porgy & Bess und ab 19.30 Uhr live in Ö1 - im Rahmen einer "On stage"-Spezialausgabe - zu hören sein und so dem zum dritten Mal stattfindenden Ö1 Jazztag einen aufregenden Höhepunkt bescheren.

Akustisches Slow Food

Inspiriert vom International Jazz Day der UNESCO, die seit 2012 jeweils am 30. April die Vielfalt und die kulturelle Brückenbauerfunktion des Jazz würdigt, wandelt sich Ö1 einen Tag lang zum Jazzsender: Und wirft - von "Guten Morgen Österreich" bis hin zu einer Spezialausgabe der "Jazznacht" mit Studiogast Erika Pluhar - kontrastreiche Schlaglichter auf eine Musik, die in 100 Jahren Geschichte einen verblüffenden, vielfärbigen Reichtum an Stilen und Spielweisen entwickelt hat. Um sich als akustisches Slow Food, das sich rascher kommerzieller Verwertbarkeit entzieht, bis heute eine gewisse Widerborstigkeit, kreatives Querdenkertum zu bewahren.

Erika Pluhar

Erika Pluhar

APA/HERBERT NEUBAUER

Ö1 Jazzstipendium

Die sehr lebendige österreichische Jazzszene kommt am Ö1 Jazztag nicht zu kurz: Im Porgy & Bess (und live in "On stage") wird abends auch das zweite Ö1 Jazzstipendium, das gemeinsam mit der Jam Music Lab Private University in Wien vergeben wird, an den glücklichen Gewinner oder die Gewinnerin überreicht. Den Auftakt macht das junge Grazer Trio Birds against Hurricanes, das die in der Edition Ö1 erscheinende Debüt-CD "fluegge" präsentiert: Gitarrist Alex Pinter choreografiert in diesem mit Akkordeon (Christian Bakanic) und Klavier (Viola Hammer) ungewöhnlich besetzten Ensemble schillernde Klangfarben-Metamorphosen mit großer Sogwirkung, immer wieder durchpulst von aparten Rhythmen. Sie sind dazu angetan, Menschen mit offenen Ohren zu verzaubern.

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