Eero Milonoff und Eva Melander

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Kino

"Border" - Prämiertes Außenseiterdrama

Der aus dem Iran stammende und in Schweden lebende Regisseur Ali Abbasi verwebt in seinem neuen Film "Border" Motive aus der schwedischen Folklore, Thriller- und Genreelemente zu einem spannenden wie intelligenten Stilmix. 2018 wurde "Border" in der renommierten Cannes-Festival-Sektion "Un certain regard" mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.

Kulturjournal | 10 04 2019

Benno Feichter

"Border" ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Film: Fantastisches Kino, das mit Horrorelementen sachte kokettiert, Außenseiter- und Kriminaldrama, spannend wie zärtlich erzählt. Regisseur Ali Abbasi fasst all das als magischen Realismus zusammen. Und damit der funktioniere, seien natürlich die magischen und übernatürlichen Zutaten wichtig, vor allem aber deren Einbindung in die gesellschaftliche Realität. "Denn ohne die, wäre es nur reine Fantasy-Unterhaltung à la 'Harry Potter'", so der Regisseur.

Eva Melander

Die Grenzbeamtin Tina (Eva Melander) hat ein herausragendes Talent: Sie kann Gefühle riechen.

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Der Außenseiter in jedem von uns

Angst, Scham oder Wut - die rund 40-jährige Tina hat eine besondere Fähigkeit: mit ihrem übernatürlichen Geruchssinn, kann sie Emotionen riechen. Als Zollangestellte in einem schwedischen Hafen wittert sie geschmuggelten Alkohol, aber auch die Nervosität eines Mannes, der einen USB-Stick mit kinderpornografischem Material bei sich hat.

Tina lebt sonst abgeschieden in einem Haus im Wald, ein Schnorrer hat sich mit seinen drei Kampfhunden bei ihr eingenistet, sie hat ein inniges Verhältnis zur Natur und zu Wildtieren. Gelegentlich besucht sie ihren dementen Vater. Aber sie unterscheidet sich nicht nur durch ihren Geruchssinn von den anderen Menschen, sondern vor allem auch durch ihr Aussehen. Mit ihrer gedrungenen Statur und dem deformierten Gesicht, das Blicke auf sich zieht.

"Das Motiv des Außenseiters ist ein universelles Thema", so Ali Abbasi. Fast jeder fühle sich irgendwann und irgendwo einmal als Außenseiter, als nicht dazugehörig. Und er betont zugleich, dass "Border" kein politischer Film sei. Kein Film über Migrationspolitik und Staatsgrenzen, sondern eine Geschichte über die Grenzen im Kopf.

Konventionen und "Normalität" neu denken

Eines Tages trifft Tina bei einer Zollkontrolle auf einen Mann, der ihr physiognomisch ähnlichsieht. Wie sie hat er eine Narbe oberhalb des Steißbeins. Es kommt zu einer Annäherung, die beiden entdecken immer mehr Gemeinsamkeiten und Abbasi zeigt in "Border" dann auch fast alles, was man noch nie über Troll-Sex und deren genitale Ausstattung wissen wollte. Nie lächerlich oder slapstickhaft gefilmt, sondern vielmehr mit einem poetischen Blick auf das Fremde und scheinbar Nonkonforme.


Hauptdarstellerin Eva Melander musste für ihre Rolle 20 Kilogramm zunehmen und saß täglich rund vier Stunden in der Maske. "Dieser Film sollte eine Liebesgeschichte zwischen hässlichen Menschen sein", erzählt Abbasi: "Wir haben ein seltsames Verständnis davon, wie 'normale' Menschen im Kino auszusehen haben. Ich muss lachen, wenn ich höre, 'ein normaler Mann wie Brad Pitt'. Brad Pitt ist doch von 'Normal' zehn Meilen weit entfernt."

Das Horrorgenre als Etikette

Im Iran hat Ali Abbasi als Autor von auf Persisch verfassten Kurzgeschichten begonnen und hat in Schweden Architektur studiert, bevor er zum Film gekommen ist. Die Filmindustrie sei viel zu engstirnig, wenn es um die Frage geht, was in einem Film wie gezeigt werden darf, so Abbasi: "Und um diese Engstirnigkeit zu unterwandern, nutze ich Genreetiketten als Vorwand und Spielwiese. Wenn ich sagen würde, ich will eine Liebesgeschichte zwischen zwei hässlichen Außenseitern im Wald erzählen, bekomme ich niemals das Geld für einen Film. Wenn ich aber die gleiche Geschichte erzähle und sage: Es wird ein Horrorfilm. Dann plötzlich kommt sie an."

Er wolle Grenzen ausloten, und das tut er in "Border", mit seinem intelligenten Genre-Mix, der trotzdem nie überladen wirkt. Fast beiläufig erzählt Abbasi dann auch noch den Kriminalfall um einen Kinderschänder-Ring zu Ende, erzählt von geheimen medizinischen Experimenten, von systematischer Gewalt gegen Minderheiten, von der Radikalisierung und Rachegedanken eines Ausgegrenzten. Und die Geschichte einer im verborgen lebenden Troll-Population in Finnland, würde dann auch gleich Lust auf "Border" Teil zwei machen.

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