Jan Böhmermann

APA/DPA/ROLF VENNENBERND

Böhmermann und der ORF

Psychogramm einer Distanzierung

Provokante Aussagen gegen die Spitzen der österreichischen Bundesregierung, und das auf der öffentlich-rechtlichen Bühne, die er als ZDF-Mitarbeiter ja ganz gut kennt: Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann war bei seinem Auftritt im "Kulturmontag" auf ORF2 ganz in seinem Element. Dass sich die Moderatorin dann von seinen Aussagen distanziert hat, war der Tupfen auf dem i der Satire und Quell vielfacher Empörung. Der Versuch einer Aufarbeitung.

"Ein 32-jähriger Kanzler, das ist nicht normal. Haben Sie da niemand Besseren als diesen Versicherungsvertreter. Dürfen Sie das überhaupt senden, was ich da sage. Der ORF wird doch in FPÖ-TV umbenannt. Ein Vizekanzler, der volksverhetzende Scheiße auf Facebook raushaut." Das alles war zwar auf Sendung, aber die deutschen Medien haben nur die Distanzierung sehen wollen und dem ORF-Fernsehen Mutlosigkeit vorgeworfen. "Böhmermann mischt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich auf. Die Medienfreiheit in Österreich zeigt Risse", titelte etwa das Düsseldorfer "Handelsblatt".

"Schock, dass sich ORF so unterbuttern lässt"

Sophie Lecheler, Medienwissenschafterin an der Universität Wien, erklärt sich die Reaktionen der Medien im Ausland so: "Die Diskussion wurde mit Schock aufgenommen, man hat sich gefragt, wie kann ein so großer und mächtiger Sender wie der ORF sich so unterbuttern lassen?" Da sei eine Unsicherheit sichtbar geworden, die es auch in anderen europäischen Ländern gibt. Aber demokratisch wichtige Institutionen wie der ORF müssten manchmal Stärke zeigen, so Lecheler.

In einem Topf mit dem Maschek-Beep

Auch österreichische Zeitungen konstatierten: "Der ORF agiert derzeit hochnervös", so die Tageszeitung "Die Presse". Und der "Standard" sieht "ein weiteres unrühmliches Beispiel für journalistische Selbstbeschädigung" – und verweist auf die jüngste Debatte über einen Beitrag der Kabarettgruppe Maschek, der aus der TVthek genommen und im Einvernehmen von ORF und Künstlern mit einem Beep entschärft worden ist. Der ORF hatte rechtliche Bedenken. Peter Hörmanseder von Maschek hat von der "inneren Schere" gesprochen, die es bei Satire nicht geben dürfe.

Im selben Dilemma wie die "Kurier"-Chefin

Im Fall Böhmermann liegen die Dinge ein bisschen anders. Die oft grenzwertigen Auslassungen des Deutschen haben auch schon den "Kurier" in Verlegenheit gebracht, bei dessen Romy-Bewerb Böhmermann einen Preis eingeheimst hat. Die Dankesrede per Video war so heftig, dass sich "Kurier"-Chefredakteurin Martina Salomon in der Folge nicht nur distanziert hat, sondern Böhmermann auch schlechtes Benehmen attestiert und die Qualität als Satiriker abgesprochen hat: "Sollte das Satire sein, so war es eine grottenschlechte", so Salomons Reaktion damals.

Erinnerung an Hellers Laudatio für Peymann

Der ORF hatte rechtlich keine Wahl, er musste sich distanzieren. Das geht aus einem höchstgerichtlichen Spruch aus 2006 hervor. Der Verwaltungsgerichtshof hat damals – es ging um eine Gala, bei der Claus Peymann geehrt worden ist und André Heller eine provokante Laudatio gehalten hat – betont, dass es eine Distanzierung noch in der selben Sendung geben müsse. Im konkreten Fall aber nicht von Hellers Laudatio - die für sich stehe und vom ORF nicht beeinflusst werden könne -, sondern von Aussagen der Moderatorin der Gala, die ebenfalls auf die damalige Regierung Schüssel hingehaut hatte.

Kein Druck, versichert der Fernseh-Kulturchef

Der Chef der Kultur-Hauptabteilung im ORF-Fernsehen ist Martin Traxl, er sagt im #doublecheck-Interview glaubhaft, es habe keinerlei Druck von innen oder außen gegeben. Die Redaktion des Kulturmontag und er seien da im kleinen Kreis abgestimmt vorgegangen. "Wir haben das Interview bearbeitet und in eine sendbare Form gebracht, haben dann aber doch noch die Rechtsabteilung gefragt. Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass es eine Distanzierung braucht. Das wurde uns dann auch bestätigt." Traxl räumt aber ein, dass man die trockene Distanzierung besser erläutern hätte sollen, im Nachhinein sei man immer klüger. Er habe das unterschätzt.

Nachhaken wäre Pflicht des Interviewers

Für den Medienberater Peter Plaikner ist das aber gar nicht der Punkt. Wäre das Interview anders geführt worden, dann hätte sich die Moderatorin auch nicht distanzieren müssen. Ein Interview mit einem Künstler, das komplett in ein Interview zur Regierungspolitik abgleitet, das müsse auch Kriterien eines politischen Interviews entsprechen, sagt Plaikner. "Das Interview darf bei solchen Aussagen nicht ohne Nachhaken geführt werden, ob das satirisch ist oder nicht."

Es sei der Job des Interviewers, provokante Aussagen wie jene von Böhmermann zu hinterfragen, betont Peter Plaikner. Das sei aber nicht geschehen. So habe der Provokateur eine Plattform für seine Aussagen bekommen. Bei einem Auftritt zum Beispiel in der ZIB2 wäre Böhmermann das nicht gelungen, meint Plaikner. Aber: kann man das von einem Kulturjournalisten erwarten? "Ich erwarte mir auch von einem Kulturjournalisten, dass er sich nicht aufs politische Glatteis führen lässt."

Die Kultur auf dem politischen Glatteis

Das Glatteis wird in der Antwort von Kulturchef Martin Traxl zu diesem Punkt sehr deutlich: "Wenn es um so eine satirische Performance geht, dann wird das Interview ein Teil davon. Auch der Interviewer. Das ist ganz, ganz schwierig. Unser Kollege hat versucht, seriös zu bleiben und Böhmermann trotzdem nicht in die Schranken zu weisen. Sonst hätte er schon bei der ersten Frage dazwischenfahren müssen", so Traxl.

Mit Thomas Bernhard den Ball aufgelegt

Von Dazwischenfahren war tatsächlich keine Rede, der ORF-Interviewer hat Böhmermann vielmehr gleich zum Einstieg sogar den Ball aufgelegt – mit dem Thomas-Bernhard-Zitat aus "Heldenplatz" von den sechseinhalb Millionen Debilen in Österreich. Die Zahl sei überholt, setzte sich Böhmermann drauf. "Inzwischen sind es acht Millionen Debile, und der Ruf nach autoritärer Führung ist immer noch sehr laut." Das sei der Versuch gewesen, das Böhmermann-Interview in einen Kultur-Kontext einzubetten, sagt Martin Traxl.

Kein Rapport bei der Programmdirektorin

Dadurch ist es dann erst recht voll politisch geworden. Für den Zeitungsboulevard war die Österreicher-Beschimpfung - und dass so etwas im ORF möglich ist - wie weiland bei "Heldenplatz" ein gefundenes Fressen. Ein exemplarischer Fall, der zeigt, wie sehr der ORF unter Beobachtung steht und wieviel Fingerspitzengefühl bei solchen journalistischen Grenzgängen notwendig ist.

Die Sache war natürlich auch ORF-intern ein großes Thema, die Verantwortlichen hätten bei Programmdirektorin Kathrin Zechner zum Rapport antreten müssen, wurde kolportiert. Stimmt nicht, sagt Martin Traxl: "Das war eine ganz normale Wochensitzung, da haben wir diskutiert, wie die Kommunikation gelaufen ist. Und die Programmdirektorin hat es von der Qualität der Satire und vom Gehalt her für nicht besonders geglückt gehalten." Satire im ORF sei aber zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich in Frage gestellt worden, so Traxl.

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