Marlene Streeruwitz

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Literatur

Marlene Streeruwitz: "Flammenwand"

Eine "Bestätigung, wie sehr die Verbindung von rechter Ideologie und neoliberaler Praxis entsolidarisiert hat", sieht Marlene Streeruwitz in der "Ibiza-Affäre". Heute kommt ein neuer großer Roman von ihr in den Buchhandel: "Flammenwand".

Morgenjournal | 22 05 2019

Streeruwitz zählt zu den wichtigsten und meist beachteten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - mit Romanen, die die Verzahnung von Politik und Privatem auf kunstvolle Weise deutlich machen ebenso wie mit ihren Wortmeldungen und scharfen Analysen zur österreichischen Gegenwart und Vergangenheit.

Wut und Ohnmacht

Adele ist Anfang fünfzig, von ihrer Stelle als Deutschlektorin hat sie sich karenzieren lassen, um ihrem Geliebten, einem Berliner Steuerfahnder, nach Stockholm zu folgen. Dort wird ihr bald klar, dass der ein Doppelleben führt.

In Adeles langem Monolog leuchtet Marlene Streeruwitz in ihrem unverwechselbaren Sound das Innere ihrer Protagonistin aus, sie erzählt vom Aufwachsen in einer typisch österreichischen bürgerlichen Nachkriegsfamilie, von einem gewalttätigen Vater, dem Fortwirken der NS-Vergangenheit, von alten Verletzungen, Verrat und Betrug. Wut und Ohnmacht einer Frau angesichts der ihr zugedachten Rolle und ihr Kampf um Würde-getragen von dem bekannten Leitmotiv schreibt Marlene Streeruwitz virtuos ihr Werk fort.

Die Situation der Frau

"Das ist das Ergebnis von Erfahrung und wahrscheinlich sogar das, was ,Reife‘ genannt wird", sagt Marlene Streeruwitz, "und in diesem erkenntnistheoretischen Fortschrittsverfahren komme ich immer mehr zu dem Schluss, dass die Situation der Frau bei weitem unterdrückter, hässlicher, kleiner ist, als wir es uns träumen lassen. Diese Frau ringt um einen würdigen Vertrag mit ihrem Partner, der ausschließt, dass sie belogen und betrogen wird."

Die Krise der Gegenwart

In dem Privaten spiegelt sich die Krise der Gegenwart-und das kann auch ganz aktuell verstanden werden: "Der Herr Kurz ist betrogen, die ganze ÖVP ist betrogen," meint Marlene Streeruwitz, "es handelt sich um Gewalt in der Familie und im Grund genommen müssten alle Beteiligten in eine Therapie, um sich darüber klar zu werden, welche Traumen, welche Verletzungen hier zugefügt wurden. Und sie sollten sicher nicht weiter reagieren, denn Personen im Trauma sind nicht fähig, klare Entscheidungen zu treffen."

Buchcover

S. FISCHER

Roman mit Anmerkungen

"Roman mit Anmerkungen" steht im Untertitel zu "Flammenwand". Die Anmerkungen, das ist eine Chronik laufender, vorwiegend österreichischer Ereignisse vom 19. März bis zum 9. Oktober 2018, auf die in Fußnoten verwiesen wird, eine rund 50 Seiten lange Liste: von der der BVT-Affäre über antisemitische und rassistische Ausfälle der FPÖ, Postenschacher, Einsparungen im Sozialsystem und im Asyl- und Migrationsbereich, frauenfeindliche Maßnahmen und populistische Ausritte, bis zu den Attacken auf den ORF.

Dokumentierter Schreibprozess

Einerseits stellt Marlene Streeuwitz so den eigenen Schreibprozess in den unmittelbaren politischen Kontext, andererseits gelingt es ihr, all das im Roman auflösen und damit zu zeigen, was Literatur kann, nämlich, wie sie sagt, "das Panorama entwerfen und versuchen, sich in einem Suchbild zurechtzufinden und auf eine sehr spezifische und persönliche Wahrheit zu kommen. Die Welt wird in einer Schneekugel eingefangen, sie kann von allen Seiten besehen werden und ist für alle Zeiten niedergelegt und unübergehbar."- Das belegt Marlene Streeruwitz auch eindrucksvoll mit ihrem neuen Roman "Flammenwand".

Service

Marlene Streeruwitz: Flammenwand. Roman mit Anmerkungen. S. Fischer

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