
LITERATURHAUS WIEN/ÖSTERREICHISCHE EXILBIBLIOTHEK/NACHLASS MARIA LAZAR
Tonspuren | Du holde Kunst
Der Nachlass der vergessenen Autorin Maria Lazar
Es ist die literarische Sensation der vergangenen Jahre. Das Werk der Wiener Autorin Maria Lazar galt mehr als 70 Jahre als verschollen. In den Biografien prominenter Zeitgenossen wie Elias Canetti, Egon Friedell oder Oskar Kokoschka, welcher sie mehrfach porträtiert hatte, wurde sie geflissentlich übergangen. Lazars Name fehlt in Literaturgeschichten und Fachlexika, obwohl die Autorin bereits Anfang der 1930er Jahre als eine der produktivsten Stimmen Wiens galt.
20. März 2023, 13:31
Sendungen hören
Tonspuren | 14 03 2023
Du holde Kunst | 19 03 2023
Mit ihrem Debütroman, "Die Vergiftung", verstörte sie die eigene, darin mehr oder weniger porträtierte Familie. Thomas Mann kritisierte den „penetranten Weibsgeruch“ des Werks; Robert Musil hingegen lobte den „reiche(n) Einfall“ und die „behende Kraft im Figuralen“. Maria Lazar galt als aufmüpfig, klug und hielt den Finger stets furchtlos schreibend in die Wunden ihrer Zeit. Denn, so beschrieb sie es selbst einmal: „Jung sein heißt, das Leben sehen, wie es ist, gegenwärtig, nackt, grausam.“ Gleichzeitig reflektierte sie: „Es ist außerordentlich peinlich, fortwährend als Sprengstoff herumzulaufen, manchmal sogar lächerlich.“ Und ganz nebenbei teilte sie mit: „Die einen geben nach, die anderen zersplittern sich in schlechten Gedichten und wieder andere spielen Fussball. Das ist schade.“
Die Niedertracht im Getuschel der Mitmenschen
Es ist diese Mischung aus weiblicher Intelligenz, bösem Witz und Unerbittlichkeit in der Beschreibung, die sie hervorhebt. Sie protokollierte die Niedertracht im Getuschel ihrer Mitmenschen ebenso wie die moralische Verkommenheit hinter Wiens bürgerlicher Fassade und verortete im katholischen Wunderglauben idyllischer Bergdörfer eine Ursache für den Zerfall der jungen Demokratie in Österreich. Natürlich machte sie sich damit keine Freunde; entsprechend wurde sie als Jüdin und Frau auch nicht mehr verlegt.
Bereits 1927 flüchtete sich Maria Lazar zur Freundin Helene Weigel nach Berlin und ging später mit den Brechts ins Exil nach Dänemark und Schweden. Ihre literarische Wiederentdeckung ist vor allem Professor Johann Sonnleitner von der Universität Wien und seinem Studenten Albert C. Eibl zu verdanken, der beschloss, eigens für Lazars Werk einen Verlag zu gründen: Das vergessene Buch.
Ein verloren geglaubtes Werk
Ein Blick in den Nachlass, welcher sich bis vor Kurzem noch in Kisten und Kartons unter dem Bett der Enkelin in einem Stadtteil Nottinghams befand, förderte schließlich Unfassbares zutage. Neben unveröffentlichten Romanen, brillanten Kurzgeschichten und Theaterstücken fanden sich auch Gedichte. Fein säuberlich, mit der Schreibmaschine auf dünnem Papier getippt, von der Autorin in Mappen geordnet und für die Nachwelt bewahrt. Sie geben einen Einblick in das Schaffen der allein mit Kind im Exil Zurückgebliebenen. Am 30. März 1948 nahm sich Maria Lazar, von Krankheit gezeichnet, in Schweden das Leben.
Ö1 hat die Suche nach dem verschollenen Werk begleitet und bringt auch Lazars Lyrik erstmals zu Gehör. So gibt es am Ende doch ein kleines Happy End. Anlässlich des 75. Todestages wird Maria Lazars Nachlass nun in einem offiziellen Festakt an die österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien übergeben. Dort wird auch der neu entdeckte und bislang unveröffentlichte Roman "Viermal ICH" vorgestellt. Das Wiener Burgtheater gedenkt ihrer im April mit einem besonderen Programm.
Gestaltung: Kerstin Schütze