Hörbilder spezial

In der Seele gibt es ein Bedürfnis, nicht zu denken.
Das doppelte Leben des Raymond Carver.
Von Alfred Koch

Robert Altman verfilmte in "Short Cuts" einige seiner besten Geschichten; man verglich ihn mit Hemingway und Cechov und feierte ihn als literarischen Minimalisten: Raymond Carver, der Arbeitersohn aus Oregon, der in den 70er und 80er Jahren in den USA zu "jedermanns Lieblingsschriftsteller" wurde. Carver, der Romane verweigerte, schrieb kurze Geschichten von kleinen Leuten im Zeitalter von Reagan und Thatcher. Erzählungen von somnambulen Arbeitslosen und heiligen Trinkern; von Paaren, die aneinander vorbeireden und heillosen Optimisten, die sich in den Fallstricken ihres eigenen Lebens verfangen. Geschichten, die wie hingeworfene Skizzen wirken und doch genau kalkulierte, durchtrainierte Erzählungen sind. Texte, die auf engstem sprachlichen Raum große Bilder zu erzeugen vermögen. Aber Carver fasziniert auch durch seine Lebensgeschichte: Als Gelegenheitsarbeiter beginnt er in den 60er Jahren nächtens zu schreiben, verfällt aber immer mehr dem Alkohol: gerade in dem Moment, als sich erste literarische Erfolge einstellen. Ende der 70er Jahre, nach mehreren Aufenthalten in Entzugskliniken gelingt dem notorischen Gin- und Rotwein-Trinker, was niemand für möglich hielt: Mit Hilfe der "Anonymen Alkoholiker" befreit er sich von der Krankheit; es beginnt, was er selbst sein zweites Leben nannte. Doch dann kommt es wieder einmal anders als geplant: Gerade eben vom Alkoholismus befreit, stirbt der Kettenraucher Carver 1988 - an Lungenkrebs.

Service

Der Autor Alfred Koch erhielt für dieses Feature 2002 den begehrten Prix Italia und 2003 den Andreas-Reischek-Preis.

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