Gedanken für den Tag

"Dem Tod in die Arme tanzen" - Zum 150. Todestag von Arthur Schopenhauer. Von Cornelius Hell

Der von Nietzsche, Richard Wagner, Tolstoi, Thomas Mann, Hermann Hesse und auch Samuel Beckett hochverehrte Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) war zu Lebzeiten ein verkannter Einzelgänger. Er ist einer der schärfsten Kritiker des Christentums und ein radikaler Pessimist, der überzeugt ist, dass der Welt ein unvernünftiges Prinzip zugrunde liegt. Für ihn schwingt das Leben "gleich einem Pendel, hin und her zwischen Schmerz und Langeweile". Und jede Hoffnung ist nur Illusion: "Der Lebenslauf eines Menschen besteht darin, dass er, von der Hoffnung genarrt, dem Tod in die Arme tanzt."

Wer sich mit der Lebensgeschichte eines Philosophen beschäftigt, anstatt seine Gedanken zu studieren, der gleicht einem Menschen, der die Schnitzerei des Rahmens betrachtet anstatt das Bild. So hat es sinngemäß Arthur Schopenhauer formuliert, und diese Warnung macht es schwer, sich mit seinem Leben zu beschäftigen. Sehr oft reduziert es sich auf den alten Herrn mit Glatze und wehendem weißen Haar, der allein mit seinem Pudel spazieren geht, auf einen griesgrämigen Pessimisten und vor allem: Einen Frauenfeind. Doch der große Einzelgänger hat viele Facetten. "Ich habe die Wahrheit gesucht, und nicht eine Professur", schreibt er einmal. Seine kompromisslose Eigenständigkeit wurzelt im offenen und vielschichtigen Milieu der Stadt Danzig, wo er 1788 geboren wurde; dass er sich nicht anpassen musste und ein Leben lang ohne Anstellung und daher auch ohne Professur auskommen konnte, verdankte er dem vom Vater ererbten Vermögen. Er hatte es leicht, Hegel zu verhöhnen, weil der zuerst Hofmeister, also schlecht bezahlter Hauslehrer, war und dann Hofrat wurde. Und Schopenhauer hatte es gleichzeitig schwer, denn er musste den größten Teil seines Lebens ohne öffentliche Aufmerksamkeit arbeiten. Was natürlich auch daran lag, dass er sich mit seinem Temperament und Charakter alle sich bietenden Chancen selbst vertan hat.

Liest man Schopenhauer-Biografien, so stößt man keineswegs auf einen rundum sympathischen Menschen. Aber auf einen unbestechlichen Denker. Und sein Pessimismus ist jedenfalls nicht aus seiner eigenen Lebensgeschichte zu erklären, sondern mit dem, was er zu sehen bekam. Auf einer großen Reise mit seinen Eltern sah der Fünfzehnjährige in London Bettler, Kriegsversehrte und öffentliche Hinrichtungen, in Frankreich 6000 Galeerensklaven, und krasses Elend an vielen Orten Europas. "In meinem 17ten Jahre ohne alle Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte", schrieb Schopenhauer rückblickend.

Und er wusste nur eine Antwort darauf: Mitleiden - dass ich mich mit dem anderen identifiziere, in Schopenhauers Worten: Dass ich "sein Wehe fühle, wie sonst nur meines, und deshalb sein Wohl unmittelbar will, wie sonst nur meines".

Service

Das Werk von Arthur Schopenhauer ist in mehrere Ausgaben erschienen, u. a. gibt es eine Taschenbuchausgabe im Suhrkamp und im Diogenes Verlag. Auch einzelne Schriften liegen in verschiedenen Ausgaben vor.
Die Sendung stützt sich vor allem auf folgende Werke, die zum 150. Todestag erschienen sind:
Arthur Schopenhauer: Ich bin ein Mann, der Spaß versteht. Einsichten eines glücklichen Pessimisten. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Volker Lütkehaus. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine Sammlung von Zitaten aus ganzem Werk, nach Themen geordnet; im Vordergrund steht die Lebenskunst. Der Herausgeber ist ein ausgewiesener Schopenhauer-Experte.
Arthur Schopenhauer: Senilia. Gedanken im Alter. Herausgegeben von Franco Volpi und Erst Ziegler. Verlag C.H. Beck, München 2010
Schopenhauers letztes Notizbuch (1852-60), erstmals vollständig veröffentlicht.
Volker Spierling, Kleines Schopenhauer-Lexikon. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003/2010
Zahlreiche Themen Schopenhauers werden, alphabetisch geordnet, in Zitat und Kommentar erschlossen - gut geeignet als Einführung in Schopenhauers Denken.
Robert Zimmer: Arthur Schopenhauer. Ein philosophischer Weltbürger. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2010
Eine gut geschriebene neue Biografie, die Entstehung und Entwicklung des Denkens von Schopenhauer mit seiner Biografie und zeitgenössischem Denken in Beziehung setzt.
Rüdiger Safranski: Schopenhauer und Die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987/2010
Die Neuauflage einer "klassischen" Philosophen-Biografie von Safranski, die das Spezifische des Schopenhauerschen Denkansatzes herausarbeitet.



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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 100920 Gedanken für den Tag / Cornelius Hell
Länge: 02:42 min

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